Hitzfeld: Ich werde nicht weitermachen

Ein Kommentar zur heutigen Vertragsverlängerung von Ottmar Hitzfeld

ßber Vorbilder in Politik und Sport und nichts geringeres als die Frage nach den Werten unserer Gesellschaft

Auch ohne an Fussball interessiert zu sein sollte man den Namen Ottmar Hitzfeld in Deutschland kennen. Hitzfeld führte erst die Fussball-Vereine Borussia Dortmund und Bayern München zu nationalen und internationalen Titeln um dann als erster Kandidat für den in Deutschland so wichtigen Nationalmannschafts-Trainerposten gehandelt zu werden – den er dann ablehnte. Klinsmann übernahm für die WM. Der Rest der Geschichte ist bekannt.

Hitzfeld galt – Sympathien hin oder her – als Gentleman und Ehrenmann. Ganz ohne Zweifel war Hitzfeld eine Respektsperson auf und außerhalb des Fußballplatzes. Bemerkenswert, denn der Verlust an Menschen, die dieses Prädikat zu Recht tragen, ist für diese Gesellschaft geradezu kennzeichnend. Damit sind wir groß geworden, schrieb ich eben mal und meinet damit die Aussagen auch solcher Größen wie Kohl oder Clinton. Aufgedeckte eindeutige Unwahrheiten, verschanzt und verklausuliert – und dennoch unwahr, wie es ein recht und billigend denkender Mensch nicht anders interpretieren kann.

»Ich tue das, weil ich ein absolut reines Gewissen habe«
Der designierte Fussball-Bundestrainer Christoph Daum als Antwort auf die Frage, warum er sich nach heftigen Drogenmissbrauchsvorwürfen nach langer Weigerung nun doch einem Test stellte. (Der dann positiv war).
[siehe auch Zielpublikum Blog]

Ich hatte schon vor einiger Zeit das Thema im Kopf. Ich suchte nach Menschen, die für mich Vorbildcharakter haben. Das heisst nicht, dass sie a) mir unbedingt sympathisch sein müssen, aber doch b) einen gewissen Lebensstil pflegen, den man guten Gewissens als vorbildlich im Rahmen ihrer Möglichkeiten nennen kann. Hand auf’s Herz. Wie viele kennt ihr? Lebend, und Personen der Zeitgeschichte, also bitte kein Martin Luther oder Martin Luther King, kein Dietrich Bonhoeffer und auch kein Gandhi. Darf auch aus dem Sport sein. Seehofer hätte ich bis vor kurzem noch gesagt, tja, wieder einer auf der Streichliste. Seitensprünge sollen in den besten Familien vorkommen, aber als Minister einer Partei, die sich den traditionellen Familienwerten (dazu christlichen) verschrieben hat, ist schon ein Schlag ins Kontor. Deswegen soll er ruhig als einer der besseren Politiker weitermachen, als Vorbild ist er bei mir aber auf der Streichliste.

Man sollte nie etwas ausschließen, doch mein Entschluss steht fest. Ich werde nicht weitermachen.
Ottmar Hitzfeld in einem Interview mit der “Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung”
[Quelle: kicker.de]

Darf also auch Sport sein, da fällt mir – man mag da den Kopf schütteln – spontan eben nur Michael Schumacher ein. Wenn man Geld verdienen in der Größenordnung nicht als Sünde ansehen mag und auch den Umstand, dass Schumi auf der Strecke mit allen Wassern gewaschen war, dann erscheint sein Leben außerhalb der Fahrbahnbegrenzungen doch sehr vorbildlich. Keine Affären, stets mit beiden Boden auf den Füßen, familienbezogen, nie auf Show und Publicity aus. Kickte für seine Dorfmannschaft Fussball und engagierte sich über Verhältnis für karitative Zwecke.
Und Steffi Graf. Die gilt ja eh als neue Mutti der Nation als einzig legitime Nachfolgerin von Inge Meysel. Die hat mit ihrem Andre Agassi zumindest nach außen so eine Enklave von Vorbild geschaffen. Und das bedeutet im Wesentlichen: Normalität. Damit ist man ja schon zufrieden. Ist man? Erst kürzlich hörte ich von einem Bericht, in dem man sich darüber beschwerte Brad Pitt sei nun zu häuslich geworden mit seiner Angelina Jolie und solle doch endlich wieder seinem Ruf als Sexsymbol gerecht werden. Was für Aussagen…

Wenn nun so wenige Personen, die man kennt, wie eben Hitzfeld, sich so aus dem Fenster lehnen und unzweideutig in jedes sich bietendes Mikro beteuern, dass nach dem halben Jahr Engagement bei Bayern München Schluss sei, ganz definitiv, ohne Zweifel, lang bedacht, unumstößlich, dann hört man da schon genauer hin. Und wenn es dann kommt, wie man es leider dann doch schon kommen sah, dann schreibt man sich seinen Frust eben von der Seele. Heute – nur zwei Wochen nach seiner definitiven Aussage – hat Herr Hitzfeld verlängert. Das Nie Nie Nie Nie Nie Nie ist eingetreten.

Menschlich? Sicher. Taktisch klug? Wahrscheinlich. In unserer Medienlandschaft so selbstverständlich? Anzunehmen.

Dennoch sind da draußen hinter den Mikros und durch den ßther die die das lesen und hören und zur Kenntnis nehmen. Die nach Vorbildern suchen, aber keine mehr finden. Die lernen, dass öffentlich lügen halt dazu gehört, dass ein Wort nichts mehr wert ist, dass man nicht alles glauben darf, dass das Geschwätz von gestern eben eh nichts zählt. Das sind die Werte, die wir unseren Kindern vorleben.

Und ich meine: Es war doch auch so unnötig. Man hätte einfach gar nichts sagen müssen, aber nein, man zog das klare (falsche) Bekenntnis vor. Warum?

Wer wundert sich denn noch wirklich, warum sich die nachkommenden Generationen einen Dreck um Moral und Werte schert. Welche Moral denn? Welche Werte? Was sind denn noch die Eckpfeiler unserer Gesellschaft?
Ich meine das als ernste Frage.
Ehe? Familie? Ehrlichkeit? Demokratie? Arbeit? Menschlichkeit? Respekt? Tradition? Glaube?

Was ist denn noch “unsere Gesellschaft”?
Wie definiert sie sich denn noch?