EM 2008: Höhepunkt im 1. Akt
Langer Artikel – Kurzzusammenfassung unten
Wortgewandt brachte Benjamin beim Bundesliga-Blog es nach dem Kroatien-Spiel auf den Punkt:
ein schlechtes Replikat eines gelungenen Sommers 2006. Wie ein Lo(ö)w-Budget-Remake des Sommermärchens.. Doch mit »irgendwas ist anders« meinte er damals (und das klingt nun auch schon wieder so lange her) die Leistungen der deutschen Auswahl im Vergleich zur WM vor zwei Jahren. – Nicht viele hätten wohl gedacht zu diesem Zeitpunkt, dass das einzige sehenswerte Viertelfinale dieser Europameisterschaft dann ausgerechnet von Deutschland nicht nur maßgeblich mit geprägt wurde, sondern dann auch noch gegen Portugal gewonnen. Nicht nur für mich war das 1:0 von Schweinsteiger vielleicht mit das fußballerisch Beste, was dieses Turnier bisher zu bieten hatte. 3:2 stand es am Ende nach 90 Minuten, und sowohl der Spielverlauf wie auch die eingesetzten Mittel ließen sicher viele spätestens da ihre Begeisterung für diese EM aufflackern … bis sie die anderen drei Viertelfinals über sich ergehen lassen mussten.
Sicher, es gibt für alles eine Erklärung: Kroatien gegen Türkei hatte ja auch seine dramatischen Minuten – wenn man es denn bis dorthin vor dem TV-Gerät ausgehalten hatte, oder die Niederlande gegen Russland zeigte wenigstens eine ballfertige Mannschaft (die Russen) und Spanien gegen Italien war auch … nein, spätestens da fehlt mir bei allem guten Willen eine Erklärung, vielleicht noch die Stereotypen wie »egalisierten sich auf taktisch högschtem Niveau« oder irgendwas von wegen »Leckerbissen der Defensiv-Arbeit«, aber sind wir doch mal ehrlich: Das war eine total müde uninteressante und brotlangweilige Veranstaltung.
Bei Kroatien-Türkei machte einem noch das Deutschland-Portugal-Doping die Augen wach und man hoffte bis zuletzt und bekam dann ja auch nach gefühlten 270 Minuten noch ein dramatisches Finish, aber bereits bei Holland-Russland verließ ich die gemeinsame private-viewing-zone mit Nachbarn und verfolgte beim Mail-Schreiben die Verlängerung nur noch via DVB-T am Rechner. Endgültig dahin raffte mich dann Italien gegen Spanien, dessen Spielverlauf mich erst in die Horizontale und dann tatsächlich zum Einnicken brachte. Das Ende ab der 88. und Verlängerung schenkten wir uns und ich sah nur noch am Rande die letzten drei Elfer. Hätte ich sie verpasst – so what! …
Mag es eine Art »Fussballmüdigkeit« sein, von der Nachbar schreibt, die einem langen Turnier geschuldet ist, aber ich vertrete noch mehr die Theorie, dass Angsthasenfussball zum Konzept erklärt wurde – und das eben just in dem romantisch-verklärten Turnier der WM 2006 in Deutschland, wo genau diese Art von unansehnlicher Zerstörungs-Perfektion die Endspielgegner Italien-Frankreich geboren hatte – das Endspiel in Berlin sah ich mir damals schon nur noch aus Pflichtgefühl an.
Mein einziger Trost nach diesen drei Spielen zum Abgewöhnen ist, dass die Chef-Zerstörer (man verzeihe mir hier den subjektiven Eindruck) der Kroaten und Italiener draußen sind. Mit Kroatien verbinde ich durchaus was und hatte sie auch als Geheim-Favorit am Zettel, aber dieses Art des Spiels, das vor allem die Absicherung und dann die Zerstörung und vorne auf Zufall und Einzelkönnen abgestimmt ist, kann ich nichts abgewinnen. Von Italien kennt man das ja … Aber auch Frankreich stolpert (leider bei der WM auch noch halbwegs erfolgreich) die letzten Jahre mehr durch die Gegend als die Zeiten des WM-Triumpfs wieder aufleben zu lassen. Auch ihnen schicke ich keine Tränen nach.
Holland war in der Vorrunde noch ein Highlight, allerdings eben just gegen die Italiener und Franzosen, begünstig durch die eigene frühe Führung und den Unfähigkeiten der Gegner. Spanien wäre beinahe trotz Bemühen gescheitert an solchen taktischen Spielchen. Leid tut es einen für Portugal, die sich aber einen packenden Kampf lieferten gegen Deutschland, die wiederum nur deswegen auf Portugal trafen, weil sie beinahe durch die Kroaten-Taktik aus dem Turnier geflogen wären.
Vielleicht klingt das alles sehr patriotisch und Deutschland-verliebt, aber wäre Deutschland ausgeschieden, wäre ich jetzt Portugal-Sympathisant. Weil ich gerne Spiele ansehe, die von zwei Mannschaften geführt werden, die auch primär gewinnen wollen.
Das Turnier ist also gar kein “Low-Budget-Sommermärchen” und erst recht kein “Loew-Budget” – es ist gewissermaßen eine Neuauflage, nur eben, dass die Gastgeber nicht die Vorrunde überlebten (die Schweiz hätte das nämlich auch verdient gehabt) – außerdem ist die gleiche Gurken-Taktik auch in diesem Turnier wieder für viele Mannschaften erste Wahl gewesen und verdirbt vielen spielfreudigen Mannschaften die Suppe. Verteidigen ist eben einfacher als angreifen.
Natürlich ist das alles legitim, aber vom tollen Raumzustellen hat es noch kein Zunge-Schnalzen gegeben. Dazu beigetragen haben allerdings auch die Regeln und deren Auslegung. Ich dachte immer: Im Zweifel für den Stürmer bei Abseits, doch diese kleine Nuance scheint manch furchtsamen aber pflichtbewussten Schiri entgangen zu sein – oder: Lieber einmal zu viel gepfiffen als ein Tor “verschuldet” zu haben. Vom unberechtigten Abseitspfiff spricht man nämlich höchstens im Nebensatz, vom Abseits-Tor aber schreit es von den Gazetten. So manches frühe Tor hätte aber so mancher Taktik Beine gemacht und den Spielern Flügel verliehen – so grottete man sich mit 0:0 möglichst lang über die Runden.
Nun sind noch vier Mannschaften im Rennen, meiner Ansicht nach die richtigen. Denn Russland versuchte es mit feiner Technik nach vorne, die Türken mit Leidenschaft und viel Herz, die Spanier durch brillante Einzelspieler und Deutschland – wieder einmal – mit der Fähigkeit im richtigen Moment eine “Mannschaft” (sic!) zu stellen, die um jeden Preis gewinnen will. Gerne gesehen hätte ich noch eben die Portugiesen und die Schweizer, vielleicht noch die Holländer ob ihrer Fähigkeiten – wenn sie doch nicht wieder einmal es nicht geschafft haben, ihre eigene Arroganz zu besiegen und gedacht hätten, gegen die Russen einfach mit so einer brillanten niederländischen Mannschaft gar nicht verlieren zu können. Aber ein Ausscheiden einer holländischen Mannschaft lässt sich immer verschmerzen…
Wird Deutschland Europameister? Zwei Spiele, zwei Siege. Und wie es aussieht sind die “Kroaten” und “Italiener” dieses Turniers nun alle nicht mehr dabei. Das verspricht eigentlich ein “EM-Finale”, dass seinen Höhepunkt vielleicht nicht wieder nur im ersten Akt hat, sondern von Halbfinale bis ins Endspiel reicht. Möge der gewinnen, der uns mehr begeistern kann – das würde dem Fußball gut tun.
————-
Wer sich an der Länge des Artikels stört – hier die Kompakt-Version für Schnellleser und Twitter-Freunde:
Deutschland *super – Holland raus *hehe – Italiener und Catenaccio-Sympathisanten *olé – Türken und Russland *Respekt! – Spanier *oha – Noch sowas wie die letzten drei Viertelfinals und ich werde Fan von Synchronschwimmen – kann eigentlich nur noch besser werden bei dieser EM. Ende.
Einspruch Euer Ehren!! Einspruch!!
A) zu Deutschland
B) zu Russland
Deutschland-Portugal:
Es war eine spannende Partie, in der die deutsche Mannschaft eine sehr gute Partie ablieferte. ABER: Portugal ist an einer taktischen Meisterleistung der Deutschen gescheitert, in der der ehemals defensive Ballack in die Offensive vorrückte ( Jogi hat seine Hausaufgaben gemacht und nicht wie Helmut Schön Anno `66 den damaligen besten MF-Spieler Franz B. gegen den besten der Engländer Bobby Ch. gestellt,die damit BEIDE aus dem Spiel waren) und mit 2 neuen Defensiven die Seele der Portugiesen neutralisierte ( Christiano Ronaldo & Deco), und dass Ballack so seine offensive Qualitäten einbringen konnte. Der andere Grund ist die Achillesferse der Portugiesen: Rechter AV & TW. Im Endeffekt war doch jeder Schuss aufs Tor auch drin. Zwei Standardsituationen, wobei ein Tor wegen Foulspiel aberkannt hätte werden können.
Da komme ich schon zu Russland- NL:
Für mich war es der ultimative Höhepunkt dieses Turniers. Wie die Russen Schnelligkeit, Technik & Kondition vereinten , war Klasse. Selbst ein Saenko flitzte , wie ich ihn beim Glubb nie in dieser Saison sah! Alle Tore SPIELERISCH erziehlt. Nicht NL war so schwach, Russland war einfach BÄRENSTARK! Schon im ersten Spiel gegen Spanien hatte Russland sehr gut gespielt , aber auch naiv. Sie haben schnell gelernt . Bin echt gespannt, wie sich dieses HF entwickelt. Auf jeden Fall ist es für mich das eindeutig interessantere Spiel, dessen Sieger für mich auch der Favourit für den Titel ist.
Also Alexander, Synchronschwimmen dem Spiel der russischen Nationalmannschaft vorzuziehen, DAS halte ich für sehr ..äähh…äähh… seltsam..;-))
Aber ich habe auch keine Ahnung von Fussball, wie die 3 letzten Tipprunden bewiesen haben…;-))
KUZ … also beim 1. Einspruch weiß ich noch gar nicht, ob es einer ist 🙂
und das mit R-NL – hmm – vielleicht war ich aus anderen Gründen zu müde, aber ich fand das Spiel nicht so dolle, wobei ich aber deine Einschätzung zur Leistung der Russen im Turnier ja teile. Ob deine These aber stimmt, dass sie schnell gelernt haben, wird sich Donnerstag zeigen wenn sie wieder auf Spanien treffen, die die Russen im ersten Spiel ja zerlegt haben. Dann wissen wir sicher mehr, ob die Russen einfach einen guten Tag gegen Holland hatten (oder/und die einen extrem schlechten) oder ob es tatsächlich eine große Mannschaft (bereits) ist.
Tipprunde … lass mich da bloss in Ruhe mit 🙂
Das Wichtigste ist doch, dass unsere Mannschaft noch im Turnier ist. Wenn ich da an die EM 2000 und 2004 zurückdenke…damals hat mich die Veranstaltung nach der Vorrunde im Prinzip nicht mehr interessiert, genauso wie mir in der nächsten Saison die 1. Bundesliga ziemlich egal ist. Fußball gibt mir nur dann einen Kick, wenn ich mich zu 100% mit einem Team identifiziere und da gibt’s für mich nur zwei: den Club und die Adlerträger…
Und ich kann mein Herz nur einem schenken. Und das ist für mich der Club. Niemals könnte ich für die Deutsche Elf soviel empfinden, wie für ihn. Pathetisch, romantisch, bescheuert, ich weiß. Aber wahr. Mit einem Schweinsteiger oder Podolski könnte ich mich niemals identifizieren.
belschanov…genau das denke ich auch!
Gretl, ich kann mich Deiner Meinung nur anschliesen. Ich konnte in den 80er Jahren die Unlust von Spaniern an ihrer Nationalmannschaft nie verstehen …heute weiß ich , dass es nur eine einzige Herzensangelegenheit gibt!! Und das kann nur der Glubb sein!!!!
@Alexander: Du hast mir gegenüber in den letzten 3 Tipprunden 11 Punkte gut gemacht!! Topp das mal.. 😉