Sisyphos oder das richtige Leben im falschen
Der Philosph Theodor W. Adorno hat einmal gesagt (bzw. geschrieben):
Es gibt kein richtiges Leben im falschen.
Es ist eine beliebte Unsitte, Weisheiten von Philosophen, Schriftstellern, Politikern und anderen mehr oder minder klugen Persönlichkeiten zu trivialisieren, indem man sie aus dem Sinnzusammenhang, in dem sie geäußert wurden, herauslöst und nach eigenem Gusto in andere (Un-)Sinn(s)zusammenhänge einbettet. Dieser Unsitte scheine ich momentan verfallen zu sein, denn wenn ich zurzeit über mein Leben als Club-Fan nachdenke, denke ich zugleich an das, was Adorno gesagt (bzw. geschrieben) hat, und stelle mir die Frage:
Gibt es ein richtiges Leben im falschen?
Der Inhalt dieser mich umtreibenden Frage lässt sich wohl so präzisieren: Kann man sich mit seinem Dasein als Club-Fan noch identifizieren, kann man sein Fan-Leben noch als sinnerfüllt (d.h. als richtig) empfinden, wenn die Lebensumstände nicht akzeptabel (d.h. falsch) sind?
Es war ja schon schwer zu schlucken, dass unsere Mannschaft in der letzten Saison nicht mit Arminia Bielefeld, Energie Cottbus und dem VfL Bochum mithalten konnte. Jetzt haben wir zu schlucken, dass die Mannschaft eine Liga tiefer nach dem siebten Spieltag mit zehn Punkten Rückstand auf einen Aufstiegsplatz tief im Tabellenkeller steht – hinter Vereinen wie RW Ahlen, FC Ingolstadt, TuS Koblenz, VfL Osnabrück.
Wenn man als Fan ein Jahr lang nur am Schlucken ist, dann ist man so schluckerprobt, dass man es mit Gleichmut hinnimmt, wenn die Mannschaft selbst gegen einen stark ersatzgeschwächten Drittligisten über ein 1:1 nicht hinauskommt. Und man hat sich auch daran gewöhnt, dass der gerade amtierende Club-Trainer, für den der Trainer des Drittligisten Mitleid empfindet, nach einem solchen Spiel verkündet, dass man im nächsten Spiel eine andere Club-Mannschaft erleben werde. Allerdings spielt man mit dem Gedanken, dass diese Ankündigung nicht eine positive Verheißung, sondern eine Drohung sein könnte.
Unter den obwaltenden Umständen ist es durchaus verzeihlich, wenn man sich als Club-Fan die Frage stellt, ob es überhaupt noch einen Sinn hat, Club-Fan zu sein.
Aber vielleicht ist diese Frage ja das Resultat einer Anmaßung. Vielleicht ist es ja eine Anmaßung, zu fordern, dass der Club nach dem Abstieg gleich wieder aufsteigt. Vielleicht werden wir ja jetzt für die Anmaßung bestraft, nach dem Pokalsieg und dem Erreichen des UEFA-Cup-Platzes in der Saison 06/07 gemeint zu haben, dass sich der Club nun endlich auf Dauer in der Bundesliga etabliert hat. Vielleicht haben wir nach dem Aufschwung nichts anderes verdient als den Absturz ins Bodenlose. Vielleicht ist das Enttäuschtwerden das richtige Leben des Club-Fans.
Vielleicht hängt über dem Leben des Club-Fans der Fluch des Sisyphos, jenes tragischen Helden, dem die Götter ein Schicksal in ewiger Sinnlosigkeit auferlegt haben. Er wurde dazu verurteilt, einen Felsblock einen steilen Berg hinaufwälzen. Das Gemeine dabei ist, dass der Fels jedes Mal kurz vor dem Gipfel ins Tal zurückrollt und Sisyphos immer wieder von vorne anfangen muss.
Seit geraumer Zeit rollt der Fels nun wieder nach unten. Wenn die Götter es wollen, bis in die dritte Liga…
Übrigens: Der französische Philosoph und Schriftsteller Albert Camus vertritt die Ansicht, dass man sich Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorzustellen habe. Was Camus damit meint, ist mir nicht ganz klar, ich kann darüber nur spekulieren. Vielleicht ist Sisyphos ja glücklich, weil es ihn mit Stolz erfüllt, dass er sein Schicksal immer wieder von neuem in die Hand nimmt, obwohl er weiß, dass seine Anstrengungen ins Nichts führen. Jemand, der trotz widrigster Umstände nie resigniert, verdient Bewunderung. Vielleicht ist Sisyphos ja glücklich, weil er sich selbst bewundert.
So gesehen hätten wir Club-Fans beste Gründe, glücklich zu sein. Es könnte uns eigentlich gar nicht besser gehen.
Manchmal hilft es, die Dinge philosophisch zu betrachten…
Sisyphos wusste eben immer, was er zu tun hat. Das hat auch was. Und ihm blieb die Leere erspart, die nach dem Erreichten einsetzen würde. Motto: Stein oben, und nun?
Was uns Sisyphos auch zeigt: Es wird wieder aufwärts gehen! Denn immer wenn es abwärts ging, wird die Talsohle irgendwann erreicht sein und es geht wieder nach oben. So ist der Lauf der Dinge im Leben des Sisyphos.
Ich hab mir die Frage auch gestellt, ob man noch Club-Fan sein mag in diesen Tagen, aber – Hand auf’s Herz: Gibt es einen besseren Verein? Wie hier im Blog, man leidet zusammen, debattiert und freut sich, man hat etwas, was uns gehört, was uns verbindet, ohne dass man sich kennt. Man kann so viel des eigenen Lebensfrustes in sein Fan-Dasein reinpacken, kann im Versagen der Mannschaft vielleicht sein eigenes Versagen in kleinen Dingen des Lebens vergessen.
Ein Fan ist Fan der lebenden Legende, wir schreiben die Legende, da ist es unwichtig, wer da gerade agiert und was passiert. Jedenfalls wenn wir später darauf zurückblicken. Dann wird uns die Erinnerung verbinden, wie man heute an die Zeit der Regionalliga zurückdenkt, wie auch an den Pokalsieg.
Ich bin lieber ein Fan eines solchen Vereins, als ein Fan einer Mannschaft, die stetig im Mittelmaß der Liga dümpelte, ein Verein mit Extremen, mit Emotionen, mit echten Gefühlen und einem Fanstamm, der ungeheuchelt manchmal sich abwendet und dann von groß bis klein auf den Hauptmarkt rennt und sich Aufkleber auf’s Auto klebt.
Das lebt, das ist echt – da sind wir Teil von.
Der Unterschied von uns zu Sisyphos ist, dass sein Stein in wenigen Sekunden den ganzen Berg hinunterrollt, während unser leiser Fall jetzt schon mindestens eineinhalb Jahre andauert, ohne das ein Fuß des Berges erkennbar scheint. Es liegt alles im Nebel. Mann freu ich mich auf den Tag, wo der Club erkennbar ganz unten ankommt und wir endlich wieder den mühsamen Aufstieg beobachten dürfen…
@ Alexander:
“Gibt es einen besseren Verein?”
Naja ich bin ziemlich sicher das es so einige bessere Vereine gibt, und auch manch andere Fans sind leidenschaftlich ABER seinen Verein kann man ja nicht einfach ablegen wie ein paar stinkige Fußballsocken. Ich denke jeder hier ist mit unseren Depperten so sehr verbunden, daß einfach ein Stück von einem selbst verloren gehen würde, wenn man sich neue Deppen suchen würde (undenkbar). Schließlich sind wir der Club.
Zitat Alexander | Clubfans United ↑:
Ob es einen besseren Verein gibt, weiß ich nicht. Ich weiß nur: Es gibt KEINEN ANDEREN Verein.
Berichtigung zu beschanov: es gibt KEINEN ANDEREN BESSEREN (!) VEREIN. EINMAL FCN : IMMER FCN ( NUR UNSER CLUB ZÄHLT )!!!
alexander hat recht, sisyphos war beschäftigt, darum war er gücklich. keine leere, kein nachdenken, keine depressionen, dafür aber auch keine extremen glücksausbrüche. eben alles, was ihn von einem fühlenden menschen unterscheidet. und insofern hinkt der vergleich mit dem club leider 🙂
mich erinnert er an einen anderen spruch: dumm sein und arbeit haben, das ist das wahre glück. und im zusammenhang mit unserem geliebten club fällt mir noch ein anderer spruch ein: es ist nicht wichtig, in welcher liga dein verein spielt, hauptsache er spielt.
naja.
aber ob ich das so total nachvollziehen kann? ich wünschte jedenfalls, ich könnte es.
ach ja, aber trotzdem ein toller artikel!
Hobbes meint aber auch, dass der menschlichen Wahrnehmung eine Erkenntnis der Welt nicht möglich sei…bringt uns aber auch keinen Sieg gegen Freiburg. *kopfkratz*
Alexander Du hast es sehr schön beschrieben und ich möchte es als Club-Fan im Exil (Köln) so beschreiben:
Als ich noch in Nürnberg lebte und eine Dauerkarte hatte hing ich emotionaler am Verein. Nicht, weil ich jetzt kein Fan mehr bin, sondern weil ich Spiel für Spiel live erlebt und echte Schmerzen erlitten habe. Übrigens auch mit Dauerkarte in der Regionalliga.
Heute ist es so, dass sich “Gleichmut” (den Begriff hab ich aus Alex Artikel) breit macht. Das ist doch das Schlimmste. Ich beginne zu denken “macht doch was ihr wollt da in Nürnberg”. Wohnte ich heute noch in Nürnberg, wahrscheinlich würde ich auch für Liga3 eine Dauerkarte kaufen und mich gut fühlen auch in den Niederung dem Verein den Rücken zu stärken.
Aus der Ferne kann ich das nicht (außer der ein oder andere Profi liest hier im Forum mal optimistische Kommentare von mir). Das gibt mir ein Gefühl sowieso gar nichts ausrichten zu können. Und die Verantwortlichen können es offenbar auch nicht im Moment. Das führt zu Gleichmut. Schlimm.
Irgendwann, da bin ich sicher, feiern wir wieder zusammen. Ich hoffe der Weg ist nicht allzu lang, ich feier doch so gerne mit diesem Verein.
@Woschsubbm
Von Thomas Hobbes stammt ja auch das Zitat “homo homini lupus”, auf deutsch: “Der Mensch ist dem (Mit-)Menschen ein Wolf.”
Ein bisschen wölfische Bissigkeit wäre morgen im Spiel gegen Freiburg durchaus wünschenswert. Leider ist unser Wolf nicht einsatzfähig. Der sitzt morgen auf der Tribüne und knirscht mit den Zähnen, weil er sich ärgert, dass er dieselben nicht den Freiburgern auf dem Platz zeigen kann.
Habe gestern abend im Rhein-Neckar-Fernsehen ein Interview des Freiburger Trainers und natürlich von Banovic gesehen. Die rechnen sich doch glatt alle einen Auswärts-Dreier aus… kein Wunder, zeigt deren Tabellenplatz doch lt. Calvin eine Gottgefälligkeit an, die dem Glubb so völlig fehlt. Strenge Pflichterfüllung bringt Heil und bei uns ist es halt Unheil und das Gegenteil von Strenger Pflichterfüllung. 🙁
Bin trotzdem draussen, muss den ITIL-Prüfungsstoff halt dann am Woende für MO lernen. :-/
Club feldüberlegen, hinten einigermaßen sicher, vorne ohne Durchschlagskraft…da werden viel zu oft aussichtsreiche Situationen versimpelt, weil der Ball trotz klarer Anspielmöglichkeiten ins Niemandsland oder dem Gegner in die Füße gespielt wird.
unser club kann ja doch noch fußball spielen – man ist das schön – vielleicht platzt ja jetzt der knoten