Fankrawalle: Stadionverbot für Bratwurstsenf

Es waren keine schönen Bilder, die man am Rande des DFB-Pokalspiels Dynamo Berlin gegen 1. FC Kaiserslautern wieder einmal zu sehen bekam. Vielleicht hätte man sie auch gar nicht zeigen sollen und ist viel zu früh von der ursprünglichen Strategie abgewichen, den Gewalttätern einfach kein mediales Podium zu geben. Eine Strategie, die zu Hochzeiten der Hooligan-Bewegung durchaus erfolgreich praktiziert wurde, auch wenn es den Medien schon damals sicher schwer viel, sich daran zu halten.

Das Streben nach Aufmerksamkeit, nach Anerkennung (zumindest in der eigenen “Peer-Group“), die Perspektivlosigkeit von Jugendlichen in einer heute sich immer schärfer abzeichnenden Zwei-Klassen-Gesellschaft, Arbeitslosigkeit, Entwurzelung, der Verlust von Traditionen, nahezu groteske Ausmaße von Vermarktung auch und gerade vom Volkssport Fußball, Entkernung von Werten. All das könnte man diskutieren, könnte man problematisieren, wenn es wieder einmal zunehmend brennt in den Stadien. Tut man aber nicht.

Was man diskutiert sind nicht die Ursachen, sondern erst mal die Auswirkungen. Nicht nur “in der Zweiten Liga geht die Angst vor dem Chaos um“, wo man Fans in “Kategorien B (gewaltbereit) und C (gewaltsuchend) einsortiert” und allein in Braunschweig 260, in Rostock 350, in Dresden sowie St. Pauli je 500 und bei der Eintracht Frankfurt gar 600 auszumachen glaubt. Auch in der Bundesliga glimmt immer wieder, gefühlt sogar häufiger als noch vor einigen Jahren, die Bereitschaft zur Gewalt. Und das gerade auch da, wo man es vielleicht nicht vermuten würde, wie bei den Anhängern des als fröhlichen “Karnevalsverein” bekannten Fußball-Clubs Mainz 05, die nach einem Spiel gegen den 1. FC Nürnberg in einer Raststätte randalierten. Für FCN-Fans allerdings kein Grund mit dem Finger zu zeigen, denn nur einen Klick weiter liest man auch schon: “Clubfans plündern Rastanlage“.

Gewalt und kleine bis größere Ausschreitungen als aufgebauschte Randnotizen in einem medialen Umfeld, das jede “News” wie ein Verdurstender in der Wüste das Wasser braucht? Vielleicht, vielleicht aber auch ein Zeichen für gesellschaftliche Probleme, die so sehr ans Eingemachte gehen, dass man lieber nicht davon spricht. Statt dessen sucht man eben das, was man auch im Internet gern als Antwort auf die Probleme verkaufen möchte: Verbote. Verbote und natürlich härtere Strafen. Als ob Verbote und Strafen je ihr Ziel erreicht hätten, wenn die Ursachen einfach tiefer stecken. Und so wundert nicht, dass man nach den Ausschreitungen im Stadion in Berlin zwischen BFC Dynamo- und FCK-Fans den Alkohol nun wieder in den Fokus schiebt:

“Wir müssen zu einem Alkoholverbot rund um den Fußball kommen. Da sind ja auch mal die Politiker gefordert.”
Rainer Wendt, Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) [Quelle: SPON]

Alkohol verbieten und damit das Problem lösen. Klingt so einfach und schlüssig wie das Ende einer Folge von Richter Hold auf SAT.1. Das Böse identifiziert, die Schurken demaskiert und der Schuldige überführt. Eine Rhetorik der Einfachheit, die der Gesellschaft nicht erst seit Bestehen der einschlägigen Boulevard-Blättern einbläut und was im Internet der kurzen Zeichen zum Prinzip erklärt wird: Kurz, einfach, naheliegend. Was nicht schnell auf den Punkt gebracht werden kann, ist der Masse nicht mehr zu vermitteln und sie verliert das Interesse und damit die Relevanz.

Es sind eben die Killerspiele schuld, der Alkohol oder zur Not eben das ganze Internet, wo sie alle sozial verarmen und sich böse Dinge ansehen, sich zusammenrotten und aufstacheln. Dass es der Mennschheit bisher überhaupt gelang, sich ohne Internet und Killerspiele die ganze Menschheitsgeschichte lang sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen, scheint heute kaum mehr vorstellbar. Als es neulich in Geretsried beim Testspiel des FCN gegen Racing Santander zu Auseinandersetzungen kam, dachte jeder spontan an Schickeria und Ultras, auch vor Ort wurde das spontan so spekuliert. Heute ist man sich da nicht mehr so sicher, vieles spricht sogar dafür, dass es überhaupt nichts mit bekannten organisierten Fan-Gruppen zu tun haben könnte, sondern man das Spiel einfach dazu genutzt (missbraucht) hat, um sich mal gegenseitig auf die Mütze zu hauen. Der “Spaß” war allerdings auch schnell wieder vorbei. Die Folgen allerdings könnten bleiben. Waren vorher vielleicht vier “Dorf”-Polizisten vor Ort, was einen angenehm unbeschwerten Eindruck hinterließ, standen nach dem Spiel die Spezialeinheiten mit automatischen Waffen rund um das Stadion, Straßensperren, Hubschrauber, Autobahnkontrollen. Das nächste Testspiel des FCN in der Gegend wird wohl kaum wieder die anfängliche Unbeschwertheit haben und erhöhte Präsenz von Sicherheitskräften wird wieder provozieren. Eine Spirale. Gewalt gebiert Gewalt.

Die Konstellation zeigt das Dilemma. Natürlich kann man die Polizei verstehen, wenn Wendt (DPolG) konstatiert: “Wer jetzt noch glaubt, unsere Beamte gehen gerne zum Fußball, irrt gewaltig. Wir werden verletzt, verprügelt, bespuckt und nichts passiert.” Und da die Polizei nicht die Probleme der Gesellschaft lösen kann, will sie wenigstens die bekannten behoben wissen und das bedeutet: Verbot von allem, was einfach nahe liegt. Dass man dabei dann im Rasenmäherprinzip allen schadet, also auch denen, die einfach nur zu einem Fußball-Spiel gehen wollen, ohne daraus eine Ideologie zu machen, ist eben das Los der Allgemeinheit. Alkohol enthemmt, also muss Alkohol aus dem Stadion. Dass der Alkohol dabei oft gar keine Rolle spielt, vor allem wenn es um organisierte gewaltbereite Fangruppen geht, die eher noch darauf achten besondern “fit” in den Kampf zu ziehen, wäre schon zu kompliziert zu vermitteln. Auch dass das Betrinken ‘im Stadion’ gar nicht so einfach ist – rein schon in Bezug auf Dauer des Aufenthalts, Alkoholgehalt des Biers, Preise und Anstehzeiten – wird nicht weiter thematisiert. Was nicht heißen soll, dass Gewalt aufgrund von Alkohol kein ernstes Thema wäre, das haben wohl alle schon mal – auch gegenüber Kindern – selbst erlebt und sei es “nur” in Form verbaler Gewalt, wozu Angstmachen und Einschüchterung zählt.

Alkohol im Stadion verbieten – das wäre eine ähnlich klassische Politikerreaktion wie einst die Forderung nach Verbotsschildern für das Internet von Ursula von der Leyen (“Zensursula”). Dass man damit keine Probleme löst, das wird der Wähler auch erst merken, wenn längst wieder Gras über die Geschichte gewachsen sein wird. Hauptsache es wurde halt irgendwas gemacht, was kurz erklärt werden kann, einfach umzusetzen ist und argumentativ eben naheliegt, da man an die Ursachen eben nicht ran will oder kann. Dass man bereits alkoholisierte Stadiongänger besser gleich gar nicht reinlässt, wäre im Übrigen eine Maßnahme, die gar keiner neuen Regelung mehr erfordern würde, sondern bereits vom klassischen Hausrecht gedeckt wäre.

“Das Bier im Stadion zu verbieten ist typischer und überzogener Aktionismus!” wirft ein User bei Facebook ein und fragt: “Was verbieten wir als nächstes? Etwa die Bratwürste, weil der scharfe Senf die Gemüter der Leute erhitzt?!?”

Stadionverbot für »Bratwurstsenft mit T« dann aber bitte, weil Senft wohl das einzige fränkische Wort ist, das man mit einem “harten T” ausspricht. Und damit hätte man dann nach dem Bierverbot gleich die zweite Tradition aus dem Stadion vertrieben, die für viele zu einem Fußballspiel einfach dazugehören: Ein Bier und eine Stadionwurst. Reicht ja nicht, dass man sein Bier eh schon aus einem Becher trinken muss, weil es eben Leute gibt, die mit Flaschen nicht umgehen können. Vielleicht gibt es ja irgendwann nur noch Getränke in Plastikbeuteln, weil ja sogar mit Plastikbechern einzelne ziemliche Dummheiten anstellen können.

Wirkung und Gegenwirkung – oder “actio et reactio” – lautet die dritte newtonsche Regel und sie besagt, dass jede Aktion (Kraft) gleichzeitig eine gleich große Reaktion (Gegenkraft) erzeugt. Dies lässt sich in weiten Teilen auch auf die Gesellschaft übertragen, was im Übrigen für beide ‘Seiten’ gilt. Verbote und Sanktionen werden nur Trotz auslösen. Und umgekehrt wird gern vergessen, dass Gewalt in jeder Form (und sei es nur deren Tolerierung) eben Gegenreaktionen bspw. bei Politik und Sicherheitskräften auslöst.

In Geretsried bspw. bestand für den neutralen Beobachter überhaupt kein Anlass, dass sich verfeindete Fan-Gruppierungen gegenseitig in die Wolle kamen, vor allem weil die Mannschaft des Fan-Gegners noch nicht mal am Spielfeld vertreten war. Und wer dieses Ausleben von Gewalt für sich als seine persönliche Freiheit in Anspruch nimmt, der sollte sich wenigstens darüber im Klaren sein, dass gerade dieses Handeln genau die Reaktionen auslöst oder legitimiert, wie Alkoholverbote, strengere Kontrollen oder allgemeine Reglementierungen, die er später wieder als persönliche Provokation und Einschränkung seiner Freiheit empfindet.

Der Weg führt nur über die Vernunft. Wer dazu nicht bereit ist, der hat auch im Stadion nichts verloren. Persönliche Stadionverbote für Unbelehrbare sind daher wohl die einzigen Verbote, die wirklich zielführend wären.


Bild vom Frittenmeister

6 Gedanken zu „Fankrawalle: Stadionverbot für Bratwurstsenf

  • 02.08.2011 um 21:22 Uhr
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    Mir kommt es auch so vor das die Gewalt im oder vorm Fußballstadion immer noch schlimmer wird.
    Wie lange wird es noch dauern bis der erste mit einer Knarre zum Fußball geht?
    Ich meine das wirklich ernst, müssen erst Leute sterben bevor gehandelt wird?
    Ein Bierverbot im Stadion bringts bestimmt nicht, aber es muß gehandelt werden, bevor der Fan aus Angst lieber zu Hause bleibt, als ins Stadion zu gehen.

  • 02.08.2011 um 22:43 Uhr
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    Hier wäre es interessant zu wissen ob es sich um “verabredete Duelle” oder um Überfälle auf einfache Fans handelt.

  • 02.08.2011 um 23:19 Uhr
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    wieder ein sehr differenzierter blick auf die sozialen verflechtungen des fussballs.in bill bufords”among the thugs”verblüfft der autor mit zitaten,die fussballkrawalle unserer zeit illustrieren könnten,aber krawalle vor 100 jahren beschreiben.auch in bruchloseren,ruhigeren zeit wirds immer junge männer geben,die sich schlagen wollen.aus meiner berufserfahrung ist alkohol nicht die ursache aber ein brandbeschleuniger.aber was tun?ich hab da keine antworten.

  • 03.08.2011 um 01:13 Uhr
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    Toller Beitrag! Ich bin aber zu müde zu weiteren Kommentaren. Hatte schon drei Ansätze, waren aber entweder zu unernster Titanicstyle (Kiffen statt Komasaufen – Die Lösung!) oder viel zu weitschweifend und kompliziert. Dann noch Killerspiele: Gerade als jetzt Üvi spiele ich schon bald mein ganzes Leben solche Spiele auch im großen Freundes- und Bekanntenkreis. Ne, wird jetzt nix. Gn8!

  • 03.08.2011 um 12:37 Uhr
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    Sehr guter und treffender Artikel. Ich finde es nur schade, dass diese Tatsachen (was ist Ursache, was Wirkung) ja mittlerweile allgemein bekannt sind und trotzdem noch solche kurzsichtigen und aktionistischen Entscheidungen getroffen werden.
    Das betrifft nicht nur den Bereich Fußball, sondern leider auch Politik und Wirtschaft. Die beiden haben sich schon gegen die Wand gefahren und geben immer noch Vollgas, anscheinend will der Fußball es ihnen gleich tun.

    Ich weiß allerdings nicht, ob die Gewalt wirklich zugenommen hat. Ich persönlich wurde nur einmal Opfer von Fangewalt und das war in den 90ern in München (60er, nicht Bayern!). Seitdem nicht mehr, also hat für mich persönlich die Gewalt abgenommen (um 100%, welch Quote 😉 ).

    Alles andere kann ich nicht beurteilen, weil es lediglich eine Darstellung der Medien ist und die tun bekanntlich alles für eine Story, also auch übertreiben und das im zunehmenden Maße. Also kann die zunehmende Aufmerksamkeit auch dem zunehmenden Aufmerksamkeitsheischen der Medien geschuldet sein.

    Polizeistatistiken sind ebenfalls mit Vorsicht zu genießen, da sich quasi jährlich ändert, was in welche Statistik aufgenommen wird. Zusätzlich ist nur wenig Differenzierung zwischen den Straftaten möglich. Wenn heute 6x Stadionsitze demoliert werden und gestern 3x Leute verprügelt wurden, hat die Anzahl der Straftaten um 100% zugenommen, die Qualität aber stark abgenommen, ersteres ist Statistik, zweiteres verschwindet in der Bedeutungslosigkeit.

    Das heißt nicht, dass es kein Problem gibt. Es heißt nur, dass ich nicht glaube, dass es so viel schlimmer ist als vor 10 Jahren, es wird lediglich heißer gekocht. Die Aufmerksamkeit ist erhöht, die Medien und die Gesellschaft reagieren immer sensibler auf solche Ereignisse und daraus resultieren leider solche kopflosen Entscheidungen, wenn man an den entscheidenden Stellen keine Leute sitzen hat, die das Selbstbewusstsein haben, sich ein eigenes Bild von der Situation zu machen, in Ruhe eine Lösung für das Problem zu finden und diese dann auch zu vertreten, selbst wenn es möglicherweise konträr zur öffentlichen Meinung oder später als der Boulevard es sich wünscht passiert

  • 04.08.2011 um 18:05 Uhr
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    Den Artikel könntest mal an die Süddeutsche schicken.

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