Wir reden aber schon noch über Sport?
Ein Kommentar zur verklärten Welt des Fußball
Früher wusste jeder einfach alles, wenn es um Fußball geht. Man sprach von einer Nation von Bundestrainern, jeder wusste es am Ende sogar besser. Wie man spielen sollte, welcher Spielmacher/Libero/Manndecker der beste ist und wie man dem Gegner beikommen kann. Man wusste wie die Italiener spielen, die Holländer und natürlich die Brasilianer, man wusste wer beim Effzeh, den Bayern, den Rothosen oder den roten Teufeln zu beachten ist – und natürlich auch wie man sie in den Griff bekommt. Früher, das war vor allem eine Zeit in der das Fußball-Spiel doch relativ überschaubar war, die Taktiken wenig Überraschendes offenbarten und sich die Geniestreiche der Trainer eher auf personelle Schachzüge oder individuelle Anweisungen beschränkten. Philipp Lahm beschrieb in seinem Buch die Situation einst so, und das ist nun wahrlich noch nicht tief in der Mottenkiste, dass der Bundestrainer den Spieler im Grunde die Position zurief (‘Philipp heute wieder auf rechts’) und sich dann mehr auf den Spielverlauf konzentrierte. Was ein Rechtsverteidiger zu tun hatte, war im Grunde ja auch jedem klar, da brauchte man keine großen Worte. Fußball war ein einfaches Spiel und einfach zu verstehen, darum redete jeder mit und jeder hatte wahrscheinlich auch irgendwie Recht.
Und heute?
Eine Stammelf war auch in den 80ern und 90ern eben noch eine Stammelf. Die Wechsel von Stammspielern zu einem anderen Verein waren schlicht Stoff für große Aufreger. Mit dem Gerücht “Völler zum FC Bayern” konnte man damals am 1. April noch wirklich Leute in Wallung bringen. Mannschaften bestehen heute aus meist 16-20 Spielern mit mehr oder minder guten Aussichten auf einen Startelfeinsatz. Dass ein Spieler nach 5 Jahren noch beim gleichen Verein kickt, ist fast schon romantisch. Mannschaften verändern laufend ihr Gesicht, manchmal sogar innerhalb einer Saison, und auch Trainer kommen und gehen. Und die Taktik ist trotz der ehrenwerten Versuche von Magazinen wie Spielverlagerung, Taktik-Boards mit Erik Meijer und Spieltagsanalysen von Sky & Co. kaum noch verständlich, man könnte eher sagen: Schon seit den ersten Versuchen von Ralf Rangnick im ASS vor verdutzten Zuschauern, was ihm den Titel “Professor” einbrachte, hat das wirkliche Verständnis ‘von dem was geschehen am Platz’ eher gelitten. Nur Jürgen Klopp hatte, in seiner Zeit als Experte bei den Öffentlich-Rechtlichen, für kurze Zeit einer Nation das Gefühl verschaffen können, dass der moderne Fußball mit abkippenden Halb-Neunern in vertikal verschobene Halbräume vielleicht doch noch das ist, was es immer wahr – frei nach Gary Lineker: “Fußball ist ein einfaches Spiel von 22 Männern, die den Ball treten”.
Vielleicht ist es das. Die Summe aus allem. Ständig wechselnde Formationen und Mannschaftsstrukturen, der Verlust von Bezugspersonen im Verein, vor allem beim spielenden Personal, die Komplexität der taktischen Systeme und die Aufgabe von bekannten und nachvollziehbaren Formationen – und die teilweise verwirrenden Regeln bzw. deren Auslegung bspw. bei passivem Abseits, das über Umwege wieder aktiv wird, oder Handspiel durch Vergrößerung der Körperfläche, tun ihr übriges. Vielleicht liegt es an all dem, dass man, wenn man über Fußball spricht, nur noch selten über den Sport redet. Im Portrait von Löw bei 11Freunde formulierte man den Wandel so: “Eine Nation, die nicht mehr aus 80 Millionen anderen Bundestrainern besteht, die alles besser wissen, sondern aus lauter Fans, die ihm folgen und vertrauen.” Vertrauen muss! Denn wer versteht noch wirklich in der heutigen Zeit, wie man eine Spielphilosophie à la Jogi mit Leben erfüllt und welche Spieler man dazu braucht.
Spricht man heute mit jungen Fans, so können die bisweilen nicht mal mehr die eigenen Spieler im Schlaf runterrattern, geschweige denn wirklich erklären, was denn die Aufgabe von Spieler xy im System von Trainer z bei der taktischen Variante 123 heute gewesen wäre. Vielleicht liegt es genau daran, vielleicht aber auch am Konsumverhalten zwischen Zeitlupenwissen und Konferenz-Schaltungen statt eigener Beobachtungen und Bewertung ohne eine sofortige mediale Erläuterung des Gesehenen. Spricht man mit Zuschauern nach einem Testspiel in Hinterdupfing, so ganz frei von Kommentator-Erläuterung, gehen die Bewertungen des Gesehenen noch weit mehr auseinander, wenn man sich überhaupt eine Bewertung traut – ausgenommen des Ergebnisses natürlich.
Und so verlagert sich die Fußball-Diskussion mehr und mehr abseits des Fußballs selbst. Das Spiel an sich wird sekundär, verliert kurz nach Abpfiff und spätestens nach der Zusammenfassung in Sportschau & Co. seinen Informationswert. Ab da wird selten über Details gesprochen, ab da geht es in der Regel nur noch um das Ergebnis, über dessen Auswirkungen und das Drumherum.
Reden wir noch über Sport?
Dann müssen wir über 90 Minuten plus Zuschlag reden. Über Details. Über Aufgaben und deren Erfüllung. Über Ansätze und deren Fortschritte. Über den Gegner. Darüber wie man dem Gegner seine Stärken berauben und selbst Stärken entwickeln kann. Vielleicht ist das auch gar nicht mehr möglich heute. Vielleicht sind es bereits viel zu viele Parameter, zu viele Drehregler, die aus einem einfachen Spiel ein komplexes Gebilde machen. Vielleicht sind die 80 Mio. Trainer wirklich einfach überfordert und zudem auch noch medial überflutet, so dass es am Ende nur noch darum geht zu glauben und zu vertrauen, oder eben beides den Handelnden abzusprechen – mal individuell, mal kollektiv.
Faktisch ist Fußball aber weiter Sport. Und es gewinnt der, der generell einfach etwas besser kann als ein anderer, der richtig eingesetzt wird und seine Leistung im entscheidenden Moment auch abruft/abrufen kann – und wenn auf der anderen Seite keiner ist, der sich nicht doch eine geniale Finte, eine überraschende Strategie zurechtgelegt hat, die dich trotz aller Überlegenheit auf dem Papier aus dem Konzept bringt.
Fußball ist am Ende natürlich Ergebnis, Ergebnisse bestimmen die Zukunft. Fußball ist heute Medienspektakel, ist viel Drumherum. Darüber ist zu reden, über alles. Aber eben auch über Sport – vor allem über Sport, das sollte man nicht aus den Augen verlieren.
Bild: Teaser – Postkarte Promotion Song: Fettes Brot
Sehr gut, sehr gut. Finde mich da wieder.
Allerdings habe ich immer noch das Selbstbewusstsein, nach einem Fußballabend ein fundiertes Urteil abgeben zu können. Auch, wenn ich es nicht in den taktischen Feinheiten begründen kann.
Mut zum fundierten Urteil! Kann ich da nur sagen. 🙂
Ähm, das war gar nicht angeberisch gemeint. Ich wollte nur sagen: wenn ich ein Spiel intensiv gucke, den Kommentator weglasse und dann nach Abpfiff noch ein bisschen sacken lasse, dann kann man schon ganz gut sagen, warum eine Mannschaft gewonnen hat oder nicht. Man kann auch sagen, welche Mannschaftsteile gut funktiniert haben und welche nicht (zumindest, wenn möglichst oft die Totale gezeigt wird). Und man hat während des Spiels ein gutes Gefühl für ein mögliches Übergewicht einer Mannschaft, selbst wenn sich das nicht in Anschlüssen äußert.
Diese Einschätzung liegt doch sicher auch bei Dir ziemlich weit weg von dem, was vom Kommentator oder in der Presse gleich hinterher erzählt wird. erstaunlicherweise liegt sie aber oft eher nahe an dem, was Trainer oder echte experten hinterher äußern.
Will heißen: das Gefühl und die vielen gesehenen Spiele reichen zumindest für eine Hausgebrauchsanalyse meist aus.
Und es war von mir nicht ironisch gemeint! Ich finde man sollte eben viel mehr den Mut haben seine Meinung über Fußball im Konkreten zu äußern, eben auch hier im Blog. Formulieren was man gesehen hat, sich und seiner Ansicht zur Diskussion stellen. Gerade wenn es um Details geht. Und die Medien? Die ändern ja bisweilen selbst noch ihre Meinung. Kann man manchmal schön an Headlines und ihre Verwandlung beobachten kann.
PK heute: Esswein rutscht für Mak (immer noch verletzt) in den Kader.
Ist das jetzt Sport, oder Medizin, oder ….? 🙂
Wir können halt jeden Spieler adäquat ersetzen.
naja, es beantwortet zumindest die Frage, wie Ginczek wieder in die Startelf rücken kann. Ein Schwächung muss das jetzt nicht sein, ich hatte mir allerdings eine Stärkung erhofft, indem ich Kiyo mal rausgenommen hätte….
Ich vermute, dass Verbeek ähnlich wie in Stuttgart spielen lassen wird: personell wie taktisch (“windschief”).
D.h. den rechten Flügel teils verwaisen lassen, um so unserem Top-Vorbereiter Chandler Räume zu schaffen. Dazu passt, dass Arango gerne mal etwas zentraler agiert und nicht der allerschnellste ist. Für Mak dürfte Feulner beginnen, der sich zentral ja sowieso wohler fühlt als auf dem Flügel. Interessant fände ich persönlich die Variante Drmic auf der rechten Seite als hängende Spitze zu bringen.
Links dürften Hlousek und Plattenhardt versuchen gegen den pfeilschnellen Herrmann möglichst wenig anbrennen zu lassen. An einen Wechsel Drmic für Hlousek glaube ich daher eher nicht (ausser Verbeek macht den unerfahrenen Rechtsverteidiger Korb als Schwachpunkit aus).
++++++++++++++++++Schäfer+++++++++++++++
Chandler++++Poga++++++Nilsson+++++Platte
+++++++++++++Stark/Frantz+++++++++++++++
++++++++++Hasebe++++++++++++++Hlousek+++
++++++++Feulner+++++Kiyotake++++++++++++
+++++++++++++++++Drmic++++++++++++++++++
“Interessante” Alternative: Drmic für Feulner als hängende Spitze und Ginczek als MS
Das denke ich schon seit Wochen (ich hab es hier auch schon mal geschrieben)… aber ist das noch sportlich gedacht oder spielen da bei mir inzwischen noch andere Gründe mit… also Ginczek ganz vorne und mit Feulner und Drmic dahinter – aber diese Woche hat ja keiner von den Nürnbergern Trainingseindrücke geschildert…
Wird Fußball zur Religion oder ist es Blasphemie, wenn man auf einen Fußballgott hofft, damit wir statt Alu auch mal wieder in das Tor treffen?
Nee, Blasphemie is nich. Es gibt, von Rom abgesegnet, sogar den Heiligen Luigi dafür. (Info findest Du unter Bistum Hildesheim.)Den rufen die bei Hannover96 an, wenns nötig ist. Leitung scheint aber öfter mal besetzt zu sein. 🙂
Wie war das nochmal mit dem vertikalen Verschieben der abkippenden Außenspieler im fluiden 4-3-3?
Gefällt mir nicht, dass Mak nicht spielen kann, gefällt mir gar nicht. Aber Ginczek hat Tore versprochen. Naja, zumindest eines, falls man wieder 20 Chancen bekommt.
Ein schöner Kommentar, welcher aber aufgrund der Kürze viele entscheidende Faktoren nicht aufgreift bzw. aufgreifen kann. Alleine die mediale Entwicklung der letzten 20 Jahre ist derart revolutionär, dass deren Einfluß auf den Fussball und insbesondere das Drumherum die Wahrnehmung der Menschen sehr stark geändert hat.
Ich erinnere mich an Zeiten, als die Sportschau nicht einmal alle Spiele des Spieltags zeigte. Gerne musste man auf Bilder von Clubspielen wochenlang verzichten. Von Analysen ganz zu schweigen. Mittlerweile kann ich überall und zu jederzeit jede Sekunde eines Spiels noch einmal anschauen und mir aus Fachblättern, Fanmagazinen etc. die Fußballwelt erklären lassen. Zumal jeder eine andere Sicht auf die Dinge hat und überdies auch keine genormte Fussballfachterminologie existiert, kann es auch schon einmal zu Verwirrungen kommen. “Falsche Neun”, “Hängende Spitze”, “Sechser”, “Achter” usw., sprechen wir alle über das Gleiche?
Der Bundestrainer macht das m.E. sehr geschickt, indem er sein überragendes Fachwissen demonstrativ nach außen kehrt und somit den Kritiker automatisch als unwissend stigmatisiert und sich unangreifbar macht. Großartiges Marketing (auch so ein Thema).
Kommerzialisierung ist ein weiterer Aspekt, warum wechseln Speiler wohl so schnell die Teams?
Nun ja, im Grunde jedoch ist es das gleiche Spiel geblieben wie immer, der Ball muss in’s Eckige. Die Wahrheit liegt auf dem Platz. Alles andere ist Käse, oder so ähnlich. Am Ende hat es doch wieder jeder Einzelne besser gewußt.