Die (statistische) Lage der Liga – Folge 1

In den Länderspielpausen bietet sich immer etwas Zeit auf die Liga zu schauen, ohne durch das Tagesgeschäft gehetzt zu sein. Wir werden daher in Zukunft in den Pausen versuchen, statistische Auffälligkeiten aufzuzeigen. Natürlich steht dabei immer noch der 1. FC Nürnberg im Mittelpunkt, aber nicht nur.

Um die „Lage der Liga“ zu erläutern, werden wir uns an vier Leitfragen entlang hangeln.

1. Lügt die Tabelle

An sich eine hinterhältige Frage, denn selbst wenn die Tabelle lügen würde, sie hat die Macht. In der Rubrik soll es um Auffälligkeiten in den Diskrepanzen zwischen Chancenqualität und Toren, zwischen erwartbaren und tatsächlichen Punkten gehen.

2. Gibt es Trends?

Hier werden Dinge beschrieben, die bei vielen Vereinen gleich sind. Es geht quasi um die Frage, wie sieht der typische Fußball in der Zweiten Liga aus? Wo möglich, geschieht dies im Vergleich zu anderen Ligen. Die Aussagen sollen aber nicht so spezifisch sein, dass sie ohne Vergleichsrahmen nutzlos sind.

3. Wer sind die Ausreißer?

Hier werden einzelne Statistiken herangezogen und Auffälligkeiten erläutert. Kassiert eine Mannschaft besonders viele Gegentore aus Standards? Spielt eine Mannschaft wesentlich häufiger tiefe Pässe als der Rest? Gibt es einen Spieler, der in einer Kategorie weitaus bessere Werte hat als der Rest?

4. Und der Club?

Zum Schluss geht es noch um den FCN. Wo liegt der Club besonders gut oder besonders schlecht? Lässt sich vielleicht manches statistisch erklären, was auf dem Feld auffällig war?

Frage 1: Lügt die Tabelle?

Abb. 1: Tabelle und zugehörige xP/xG

Die Tabelle lügt immer. Zumindest aus Sicht der expected Goals (xG) und expected Points (xP).

Bei genauerer Betrachtung (Abb. 1) haben mit Sandhausen (+2,5 xP) und Aue (+3,3 xP) zwei Mannschaften bisher deutlich über den statistischen Erwartungswerten performt, während Dresden (-2,5 xP), Wiesbaden (-4,5 xP) und Bochum (-5,2 xP) eigentlich deutlich besser dastehen müssten. Folgt man dem statistischen Prinzip der Regression zur Mitte ist zu erwarten, dass sich die Ergebnisse bei den einen Teams verbessern, bei den anderen verschlechtern müssten. Auch auffällig, wenn man die xP ansieht: Hamburg und Stuttgart stehen auch in dieser Wertung ganz oben, die Qualität der beiden Mannschaften schlägt also auch hier schon durch.

Auch wenn der FCN meist mit Dreierkette spielt, nur ein anderer Verein (Dresden) hat mehr als 50% der Spielzeit mit Dreierkette in der Abwehr gespielt. Der durchschnittliche Zweitligist zwischen Karlsruhe und Kiel, zwischen St. Pauli und Sandhausen spielt mit Viererkette. In der Beliebtheit halten sich dann das 4-2-3-1 und das (flache) 4-4-2 die Waage.

Auch auffällig: Die Zweite Liga ist eine Liga der „deep completions“. (Abb. 2) Also der Pässe, die innerhalb eines Radius von 20 Meter um das gegnerische Tor ankommen. Der Schnitt pro Team liegt bei ungefähr 9,3. In der Bundesliga war 2018/19 bei 8,9, In der französischen Ligue 1 lag er bei 7,1, in der ersten spanischen Liga bei 8,4, in Italien bei 8,6. Vergleichbar ist der Wert mit der Premier League, wo der Schnitt letzte Spielzeit bei 9,5 lag.

Abb. 2: Deep Completions

Verantwortlich für diesen Wandel sind Mannschaften wie Kiel, Hamburg, Stuttgart und Bielefeld, deren hohe Zahl an tiefen Pässen (>13 pro Spiel) derzeit noch weit über den statistischen Werten vieler Top-Teams aus den großen Ligen im Vorjahr liegt. Nach fünf Spieltagen ist es sicher zu früh von einem Trend zu sprechen, aber das Spiel in Liga Zwei wäre, so sich der Trend fortsetzt, deutlich direkter geworden als anderswo und auch im Vorjahr, wo der Wert pro 90 Minuten noch bei 8,2 liegt.

In den ersten Spielen war noch etwas auffällig: Die Zweite Liga, die sich bisher durch eine hohe Pressingintensität auszeichnete, hat diese deutlich zurückgefahren. Der durchschnittliche PPDA-Wert eines Teams lag bei 11,6. Das ist ein Wert, den im Vorjahr keiner der 18 Zweitligisten überschritt. Damals lag der Schnitt noch bei 9,3. Der Wert von 11,6 liegt vielmehr näher an dem Schnitt der ersten Ligen in Deutschland und England im Vorjahr (um die 11,7). Der Wert wäre noch höher, würde sich nicht der VfB Stuttgart mit einem PPDA-Wert von 6,8 durch extrem aggressives Pressing hervortun.

Frage 3: Wer sind die Ausreißer?

In vielen Statistiken tut sich bisher der SV Darmstadt negativ hervor: Wenigste Tore (3), drittwenigste Schüsse (51), zweitmeiste Schüsse gegen sich (86), drittwenigste Pässe (1506), geringster Ballbesitz (35,7%), wenigste Balleroberungen (<60 pro 90 Minuten), wenigste und ungenauste Pässe ins letzte Drittel (35,1 pro 90 Minuten/59%), wenigste und ungenauste Pässe für Raumgewinn (61,1 pro 90 Minuten/53%), wenigste Ballkontakte im gegnerischen Strafraum (10,3 pro 90 Minuten), geringste Pressingintensität (PPDA: 18,9), schlechteste Zweikampfquote bei Defensivzweikämpfen (50%).

Der nächste Gegner des FCN hat also in vielen Belangen noch Startschwierigkeiten, an denen Trainer Grammozis und sein Team in der Länderspielpause arbeiten müssen. Am anderen Ende des Spektrum steht der VfB Stuttgart, der mit dem meisten Ballbesitz (69,5%), den meisten Pässen (2979), den meisten Pässen ins letzte Drittel bei zweithöchster Genauigkeit (72,5 pro 90 Minuten /78%) und meisten und genausten Pässen für Raumgewinn (100,4 pro 90 Minuten/86%) aufwarten kann und auch noch – wie erwähnt – mit dem höchsten Pressingdruck aufwarten kann.

Abb. 3: Ballkontakte im Strafraum

Ein Spieler, der in vielen Kategorien positiv auftaucht, obwohl er möglicherweise bislang nicht auf dem Radar vieler Beobachter auftauchte, ist Kiels Makana Baku. Der Zwillingsbruder von Mainz‘ Ridle Baku, hat – auf die Einsatzzeit gerechnet und nur bei Spielern mit mehr als 50% gespielten Minuten – die meisten Ballkontakte im Strafraum (6,7 pro 90 Minuten), die meisten Dribblings (8,7 pro 90 Minuten), führte die zweitmeisten Offensivzweikämpfe (17,4 pro 90 Minuten) und spielte die viertmeisten „deep completions“ (2,6 pro 90 Minuten). Außerdem hatten die Angriffe mit seiner Beteiligung auf 90 Minuten gerechnet den höchsten xG-Wert (1,42 pro 90 Minuten, Abb. 4).

Frage 4: Und der Club?

Der Club ist in vielen Kategorien da, wo er in der Tabelle auch steht: Im Mittelfeld. Allerdings ist in vielen Kategorien ein Unterschied zwischen den ersten drei und den letzten beiden Spielen feststellbar. So hatte der FCN in den ersten drei Saisonspielen eine Schnitt bei den „deep completions“ von 3,0, in den letzten beiden Spielen von 12,0. Die Ballbesitzphasen im Strafraum stiegen von 9,3 auf 17,5 pro Spiel und die Schüsse von 7,3 pro Partie auf 21 pro Spiel. Gerade im Hinblick auf die weitere Entwicklung in dieser Saison ist die Frage, ob das Team an die Entwicklung der letzten beiden Wochen anknüpfen kann oder aber doch die ersten Spiele das „wahre Gesicht“ des FCN waren.

Abb. 4: xG der Angriffe eines Spielers

In Sachen Gegentoren hat der Club in der Schlussviertelstunde tatsächlich mit vier Treffern die zweitmeisten kassiert – Wehen liegt mit sechs Gegentoren auf Platz Eins, St. Pauli und Karlsruhe stehen ebenfalls bei vier. (Abb. 5) Der xG-Wert aller Schüsse aufs Tor des FCN in der Schlussviertelstunde lag aber lediglich bei 0,69. Das ist ligaweit für die Schlussviertelstunde der niedrigste Wert. Man hat es also tatsächlich geschafft aus sehr wenigen guten Möglichkeiten gegen sich, sehr viele Tore zu kassieren, während Kiel trotz eines xG-Werts von 1,7 gegen sich in der Schlussviertelstunde noch gar kein Tor kassiert hat.

Auch insgesamt zwingt der Club die Gegner zu relativ schlechten Abschlüssen, der durchschnittliche xG-Wert pro Schuss gegen den FCN ist 0,09, lediglich der VfB hat hier einen noch geringfügig besseren Wert (0,08), das liegt auch daran, dass der Club die Gegner dazu bringt im Schnitt aus einer Entfernung von 20,4 Metern aufs Clubtor zu schießen. Normalerweise ist dies eine gute Möglichkeit Tore zu verhindern, da Fernschüsse kaum ins Tor gehen. Doch der Club hat in dieser Saison bereits fünf Fernschusstore (Hamburg (0:0, 0:2), Sandhausen (0:1, 2:3), Heidenheim (2:1) kassiert). Zum Vergleich: Die Liga insgesamt hat nur 23 Fernschusstore verzeichnet, d.h. über ein Fünftel aller Fernschusstore in der Liga in dieser Spielzeit hat Christian Mathenia kassiert.

Abb. 5: Gegentorverteilung & xG

Der Club zwingt nicht nur die Gegner zu Fernschüssen, er schießt auch selbst am liebsten aus der Ferne. Die durchschnittliche Torentfernung eines Schusses des 1. FC Nürnberg an den ersten fünf Spieltagen lag bei 21,45 Metern, der nächste Wert auf dieser Liste: Aue mit 19,77 Metern. Immerhin zwei der Fernschüsse – beide von Johannes Geis – fanden ihren Weg ins gegnerische Netz. Zählt man also diese beiden Tore dazu, so sind knapp ein Drittel aller Weitschusstore in dieser Saison beim Spielen mit Beteiligung des FCN gefallen.

*Alle Daten und Grafiken stammen von Wyscout. Benutzung der Daten und Grafiken unter der Journalistenlizenz des Anbieters. Unter „expected goals“ sind die Tore, die statistisch auf Grund der abgegebenen Schüsse zu erwarten gewesen wären, zu verstehen. Die expected Points für das jeweilige Spiel ergeben sich folgerichtig aus den expected Goals. PPDA bezeichnet die zugelassenen Pässe pro Defensivaktion. Es ist eine Metrik, die anzeigt, wie hoch der Pressingdruck einer Mannschaft ist, je niedriger der Wert, desto weniger Zeit hat der Gegner am Ball.

3 Gedanken zu „Die (statistische) Lage der Liga – Folge 1

  • 05.09.2019 um 18:23 Uhr
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    Interessant, danke dafür!

    Habe gerade keine Zeit das zu (grob) zu überschlagen, deshalb als Frage: Ist denn die Gesamtverteilung der xP realistisch (d.h. über die Punktevergabe der Spieltage erzielbar)? D.h. fließt in den xP Wert die Tatsache ein, dass es 2 Punkte nicht gibt? Wie ist denn der Wertebereich definiert [0;3?]?

    Bin gespannt, ob es mit steigendem N eine Tendenz zum Mittelwert gibt. 🙂

    • 05.09.2019 um 20:24 Uhr
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      Die xP ergeben sich aus der Siegwahrscheinlichkeit, die über die xG berechnet wird. Beispielsweise für das Spiel gegen Heidenheim: 57% Sieg, 25% Remis, 18% Niederlage: xP = (57% * 3) (Sieg) + (25% * 1) (Remis) + (18% * 0) (Niederlage) = 1,96 xP. Das ist für ein einzelnes Spiel natürlich total kontraintuitiv, für die mehrere Spiele ergibt sich da aber schnell n gutes Bild, ob jemand über oder unter seiner Chancenqualität unterwegs ist.

  • 06.09.2019 um 08:22 Uhr
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    Kompliment! Finde das auch sehr interessant, freu mich schon auf die nächste Pause. Die Statistik müsste uns Hoffnung machen, der Club ist auf dem richtigen Weg, er muss diesen „nur“ weitergehen. Zumindest ist das meine Interpretation deiner Arbeit…

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