Die 17 Anderen – Folge 10: Holstein Kiel

Im Zuge der Saisonvorbereitung der Konkurrenz blicken wir in loser Folge darauf, wie der Kader bei den Gegnern strukturiert ist und was letzte Saison auffällig war. Im zehnten Teil geht es um die Störche.

  1. Steckbrief
  2. Spielstil 2021/22
  3. Kader 2021/22
  4. Trainer 2022/23
  5. Kader 2022/23

1. Steckbrief

TrainerMarcel Rapp (seit 4.10.2021)
AbgängePhil Neumann (Hannover 96), Joshua Mees (Jahn Regensburg), Ioannis Gelios (Bandirmaspor), Ahmet Arslan (Dynamo Dresden, Leihe)
ZugängeMarvin Schulz (FC Luzern), Timo Becker (FC Schalke 04, war an Hansa Rostock verliehen), Tim Schreiber (RB Leipzig, Leihe) Marvin Obuz (1.FC Köln, Leihe), Lucas Wolf (eigene zweite Mannschaft), Fiete Arp (FC Bayern München II, war bereits ausgeliehen),
Platzierung 2021/229. Platz, Zweite Liga (45 Punkte, 46:54 Tore)
Bilanz gegen FCN seit 19632 Siege – 4 Remis – 3 Niederlagen (13:18 Tore)
Ex-Cluberer?Patrick Erras spielte von 2007 bis 2020 für den FCN
Ex-Störche?Manuel Schäffler spielte von Januar 2014 bis Juni 2016 in Kiel

2. Spielstil 2021/22

Die ersten sieben Spieler der Saison saß Ole Werner auf der Bank. Nach nur einem Sieg und Platz 15 trat der damals 33-Jährige von seinem Amt an Förde zurück: “Ich habe nach reiflichen Überlegungen für mich entschieden, nicht mehr Cheftrainer der KSV Holstein zu sein. Mir fällt dieser Schritt nach über 15 Jahren im Verein sehr schwer und ich halte ihn, nach reiflichen Überlegungen, dennoch für den richtigen und für den Verein notwendigen. Die nach der turbulenten und anspruchsvollen letzten Saison vereinbarten neuen Reize haben leider bis zum heutigen Tag nicht den erhofften, nachhaltigen Effekt gehabt.” Jene neuen Reize sollte Marcel Rapp setzen und das tat er, baute dabei aber auf die Vorarbeit von Ole Werner auf.

Dabei variierte Holstein zwischen einem 4-1-4-1/4-3-3 und einem 3-5-2. In beiden Grundordnungen stand der Ballbesitz im Fokus. Nur Werder Bremen und der HSV hatten den Ball länger als die Störche und lediglich der HSV hatte länger andauernde Ballbesitzphasen. Oft wurde der Ball über lange Phasen in der Abwehrkette zirkuliert, immer wieder banden die vier Kettenspieler den Sechser mit in ihre Zirkulation ein, so dass Holstein überdurchschnittlich viele Pässe spielte. Die Grundformation im 4-3-3 mit doppelt besetzten Flügeln legt auch einen Flankenfokus nahe, der sich tatsächlich feststellen lässt. Nach Flanken waren die Holsteiner am Ende die gefährlichste Mannschaft und das obwohl Kiel mit sieben Kopfballtoren, weit unter Durchschnitt lag. Die Strafraumbesetzung bei den Hereingaben war allerdings so gut, dass nicht durch direkten Abschluss, aber durch Zuspiele nach Flanken dann die Tore erzielt wurden.

Das Offensivspiel insgesamt litt ein wenig unter der Chancenverwertung, aber auch darunter, dass im Sturm der Abnehmer fehlte, wie bei Aue und dem FCN hatte der beste Torschütze der Saison einen Wert von sechs Toren, die keine Elfmeter waren. Wie in Nürnberg war es auch ein Problem des Einsetzens. Gegen den Ball arbeitete Kiel oft eher mannorientiert und mit relativ viel Druck auf die ballführenden Spieler, aber ohne konstant hohes Pressing zu spielen. In Duellen gegen den Ball schnitt Holstein hervorragend ab, war nach dem HSV die zweitstärkste Mannschaft. Allerdings war die Defensive nicht ohne Fehler. So hatten beide eingesetzten Keeper einen negativen Wert bei den statistisch verhinderten Toren, das heißt sie ließen mehr Tore zu, als zu erwarten gewesen wäre.

 Kiel 2021/22
Tore/expected Goals46/50,62
Gegentore/expected Goals against54/52,28
Schüsse pro 90/xG pro Schuss11,81/0,119
geg. Schüsse pro 90/xG pro geg. Schuss13,03/0,112
Ballbesitz/Dauer durchschn. Ballbesitzphase55,8%/15,8s
PPDA/Chal. Intensity9,67/6,5
Zweikampfquoten Off./Def./Luft/fr. Ball40%/63%/45%/42%
Für Erklärungen der Begriffe hier klicken.
Spielstil im Vergleich zu anderen Zweitligisten anhand ausgesuchter Parameter. Für Erklärungen der Begriffe hier klicken. Unterschiede zwischen Tabelle und Grafik ergeben sich aus unterschiedlichen Rundungen und Durchschnittsbildungen.

3. Kader 2021/22

Wenn nur ein einziger Spieler (Mühling) über 80 Prozent Einsatzzeit hat und nur zwei weitere (Reese und Neumann) auf mehr als 70 Prozent kommen, dann liegt die Vermutung nahe, dass auch Verletzungen eine Rolle in der Saison 2021/22 gespielt haben und nicht nur ein Trainerwechsel oder viel Rotation. So fiel beispielsweise Innenverteidiger Hauke Wahl, der in der Hinrunde keine Sekunde verpasst hatte, ab dem 20. Spieltag mit Pfeifferschem Drüsenfieber aus. Marco Komenda, ein anderer Innenverteidiger, fehlte fast die gesamte Hinrunde mit einem Mittelfußbruch. Fin Bartels verpasste den Saisonendspurt mit einem Schlüsselbeinbruch und Finn Porath musste sieben Wochen mit einer Syndesmosebandverletzung pausieren. Linksverteidiger Mikkel Kirkeskov fehlte mit Achillessehnenproblemen ebenfalls wochenlang.

Dennoch spielte auch der Wechsel zwischen 3-5-2 und 4-3-3 eine Rolle. Im 4-1-4-1 agierte Rapp mit van der Bergh/Kirkeskov als Linksverteidiger und Neuman als Rechtsverteidiger, im 3-5-2 rückte Neumann in die Innenverteidigung, stattdessen spielte Julian Korb auf der Außenbahn. Auch auf links wurde, wenn man mit Wing Back agierte, getauscht. Fabian Reese übernahm dann die Rolle des Flügelspielers alleine. Auch auf der Sechs probierte der Trainer viel, Holtby, Sander und Mühling versuchten sich und auch im Sturmzentrum wechselten die Spieler immer wieder, anfangs kam Pichler oft zum Einsatz, später war es Winterneuzugang Kwasi Wriedt, teilweise alleine, teilweise unterstützt von Arp oder Skrzybski. Es fehlte aber eben auch der Stürmer, der sich für dauerhafte Einsätze empfahl.

Der erwähnte Fiete Arp war der einzige Spieler, der als U21-Spieler in die Saison ging und signifikante Einsatzzeiten sah. Dagegen waren mit Thesker, Holtby, Bartels und van den Bergh unter den erfahreneren Spielern einige mit mehr Einsatzzeit. Den höchsten Anteil hatten, wie bei allen Teams außer Erzgebirge Aue, aber die Spieler zwischen 24 und 29. Bei Kiel war der Anteil mit 64 Prozent aber so hoch, dass dieser nur bei Sandhausen (68 Prozent) und St. Pauli (67 Prozent) übertroffen wurde. Da viele dieser “Peak Age” Spieler (Korb, Gelios, Kirkeskov, Skrzybski, Mühling) aber mit 28 oder 29 Jahren am Ende des Korridors liegen, stellte Kiel in Sachen Durchschnittsalter die viertälteste Mannschaft. Ein Blick in die Daten von Matchmetrics ergibt einen überraschenden Spieler als besten Akteur: Linksverteidiger Mikkel Kirkeskov, der verletzungs- und systembedingt nur knapp 900 Minuten auf dem Platz stand, hat die beste Gesamtwertung, zählte defensiv wie offensiv zu den stärksten Außenverteidigern der Liga und fiel durch ein herausragendes Passspiel auf. Der Däne hatte schon in der Vorsaison und auch in Polen bei Piast Gliwice sehr gute Werte. Möglicherweise wäre ein fitter Kirkeskov ein guter Stammspieler, möglicherweise schafft er es aber auch nur auf Grund der recht kleinen Stichprobengroße auf so gute Werte.

Groß genug ist die Stichprobengröße bei Alexander Mühling. Der Vizekapitän ist zwar seit seinen Fehlschüssen gegen Dresden und Darmstadt nicht mehr “Mister 100 Prozent” vom Elfmeterpunkt – zuvor hatte er alle 15 Elfmeter in der Zweiten Liga getroffen – kam aber dennoch auf vier Elfmetertore und drei weitere Treffer aus dem Spiel. Dazu war der zu Saisonstart 28-Jährige auch konstanter Taktgeber im Mittelfeld. Taktgeber war auch Lewis Holtby, der ehemalige deutsche Nationalspieler agierte über Teile der Saison plötzlich auf der Sechs und machte das dort mehr als ordentlich, weil er aus den tiefen Positionen den Ball nach vorne brachte, darüber aber nicht die defensive Arbeit vergaß.

4. Trainer 2022/23

“Wenn ich mich so beschreiben würde, würd ich sagen: Ich bin einfach ein normaler Typ,” sagt Marcel Rapp über sich selbst und damit passe er einfach nach Kiel. Seine Trainerausbildung machte der 43-Jährige weitgehend in Hoffenheim, trainierte dort die U16 und U17, übernahm nach dem Abgang von Domenico Tedesco die Hoffenheimer A-Jugend. Mit der holte er einmal die Meisterschaft in der Bundesliga Süd/Südwest, erreichte in der UEFA-Youth League mit Siegen über Lyon, Manchester City, Dynamo Kiew und Real Madrid das Halbfinale. 2019 bestand Rapp, gemeinsam mit dem Trainer der FCN U23, Cristian Fiel, die Prüfung zum Fußballlehrer. Intensives Pressing, viel Ballbesitz, hohes Spieltempo prägten die U19, als Rapp sie trainierte.

Im Juni 2020 war Rapp dann sogar Teil einer „Teamlösung“ bei den Hoffenheimer Profis. Zusammen mit Matthias Kaltenbach und Kai Herdling brachte Rapp die Saison zu Ende, nachdem die TSG Alfred Schreuder, der inzwischen Trainer von Ajax Amsterdam ist, entlassen hatte. Nach der Saison kehrte Rapp in die U19 zurück, von wo aus Holstein ihn Anfang Oktober 2021, als Nachfolger des zurückgetretenen Ole Werner holte. Warum, das erläuterte Rapp dem NDR: “Man verfolgt Fußball und guckt, welcher Verein passt denn zu mir? Und dann kommt man unweigerlich auch auf Holstein Kiel, weil einfach die Art des Fußballs, die Art wie der Verein geführt wird – auch wenn das im Süden relativ weit weg ist – kriegt man das schon mit. Und das fixt einen schon an. Und als der Anruf dann kam, hab ich zu meiner Frau gesagt: ‘Kiel, ich will da hin!’

Unterstützt wird Rapp in Kiel von einem alten Weggefährten des Club-Vorstands Dieter Hecking: Dirk Bremser, lange Jahre Co-Trainer Heckings, u.a. auch in Nürnberg, ist Rapps Assistenztrainer. Er hatte nach Werners Rücktritt das Team sogar zwei Spiele lang interimistisch betreut. Wäre die Phase zwischen Mitte Februar und Anfang April, wo die Störche nur eine von sechs Partien gewannen, nicht gewesen, Holstein hätte deutlich früher als am 32. Spieltag den rechnerischen Klassenerhalt feiern können. Für den Teilnehmer an der Aufstiegsrelegation im Vorjahr nahm die Saison, in der man sich in Folge des altbekannten „Post-Relegationsblues“ phasenweise in Abstiegsgefahr befand, dennoch auch dank Rapp ein sicheres und souveränes Ende.

5. Kader 2022/23

Viel Bewegung war bislang nicht im Kader von Holstein Kiel. Der einzig nennenswerte Abgang ist Rechts- und Innenverteidiger Phil Neumann, der sich – siehe Folge Acht – Hannover 96 anschließt. Hinzu kommen mit Außenstürmer Joshua Mees, der leihweise – siehe Folge 4 – zu Jahn Regensburg wechselt und Ersatzkeeper Ioannis Gelios sowie Mittelfeldspieler Ahmet Arslan, der zu Dynamo Dresden ausgeliehen wird. Ein Wechsel von Ex-Cluberer Patrick Erras, der sich der neuen Clubfiliale in Aue mit Ex-FCN-Spieler Timo Rost als Trainer und den Ex-Cluberern Rosenlöcher, Stefaniak, George, Knezevic und Besong im Aufgebot anschließen sollte, zerschlug sich. Erras steht aber dennoch auf der Liste derer, die wohl gehen dürfen. Alle drei waren in der vergangenen Saison eher Ergänzungsspieler, so dass das Gerüst der Mannschaft zusammenbleiben wird. Auch weil die Leihe von Fiete Arp zu einem permanenten Transfer umgewandelt wurde. Der Stürmer, der mehr Tore verspricht, ist damit aber noch nicht gefunden.

Die Neuzugänge fangen vor allem die Abgänge auf. Tim Schreiber, der in den vergangenen eineinhalb Jahren an den Halleschen FC ausgeliehen war und dort trotz seiner 20 Jahren phasenweise Stammkeeper war, kommt im Rahmen einer zweijährigen Leihe von RB Leipzig. Der 1,91m große Sachse kam in der Dritten Liga immerhin auf fünf Gegentore weniger als statistisch zu erwarten gewesen wäre. Er wird Thomas Dähne, den bisherigen Stammkeeper also durchaus herausfordern können, auch wenn er noch unter den Folgen einer Meniskusverletzung leidet. Für die linke Außenbahn kommt mit Marvin Obuz neben Schreiber ein weiterer aktueller U20-Nationalspieler Deutschlands. Der Offensivspieler wechselt für ein Jahr per Leihe von 1. FC Köln an die Ostsee. In Regionalliga und U19-Bundesliga bestach der 20-Jährige vor allem durch sein Dribbling und sein gutes Auge im Passspiel. Letzteres war auch das, was bei Lucas Wolf herausstach. Der offensive Mittelfeldspieler steigt aus der Regionalligamannschaft der Störche zu den Profis auf.

Als Ersatz für Phil Neumann ist Timo Becker eingeplant. Der war in der vergangenen Saison an Hansa Rostock ausgeliehen, kommt nun aber fest verpflichtet vom FC Schalke 04. Auf Schalke spielte Becker meist Innenverteidiger, in Rostock als Rechtsverteidiger, ist also dahingehend tatsächlich fast eine Kopie von Neumann. Um an Neumanns Leistungen heranzukommen, muss Becker sich aber steigern, gerade im Zweikampfverhalten. Zusätzlich kommt mit Marvin Schulz ein Spieler, der die Fluktuation der Spieler im defensiven Mittelfeld beenden könnte. Der 27-Jährige spielte bis 2017 bei Borussia Mönchengladbach, machte acht Bundesligaspiele und spielte zweimal in der Champions League. Danach reifte er in fünf Spielzeiten beim FC Luzern zum Stammspieler, machte es weitgehend ordentlich gegen den Ball, ohne zu brillieren.

#Pos.NameVornameAlter*Nationseitletzter Verein
1TWSchreiberTim20D07/2022RB Leipzig
2LVKirkeskovMikkel30DAN01/2021Piast Gliwice
3IVKomendaMarko25D/CRO07/2020SV Meppen
4ZMErrasPatrick27D07/2021Werder Bremen
5IVTheskerStefan31D07/2018FC Twente
6ZMBengerMarcel23D07/2021Borussia Mönchengladbach
7
8ZMMühlingAlexander29D07/2016SV Sandhausen
9STPichlerBenedikt24AUT08/2021Austria Wien
10ZMHoltbyLewis31D/ENG08/2021Blackburn Rovers
11LAReeseFabian24D01/2020FC Schalke 04
12
13
14ZMSkrzybskiSteven29D07/2021FC Schalke 04
15LVvan den BerghJohannes35D09/2017vereinslos/Getafe CF
16ZMSanderPhilipp24D07/2018eigene zweite Mannschaft
17RVBeckerTimo25D07/2022FC Schalke 04
18STWriedtKwasi27D/GHA01/2022Willem II Tilburg
19IVLorenzSimon25D07/2020VfL Bochum
20STArpFiete22D07/2021FC Bayern München II
21TWDähneThomas28D07/2020Wisla Plock
22ZMIgnjovskiAleksandar31D/SRB07/20191. FC Magdeburg
23RVKorbJulian30D07/2021vereinslos
24IVWahlHauke28D07/2018FC Ingolstadt 04
25ZMSchulzMarvin27D07/2022FC Luzern
26
27ZMPorathFinn25D07/2019Hamburger SV
28STAwukuNoah22D/GHA07/2017eigene U17
29
30LAObuzMarvin20D/TUR07/20221. FC Köln
31RABartelsFin35D08/2020Werder Bremen
32ZMSternerJonas20D07/2020eigene U19
33TWWeinerTimon23D07/2018FC Schalke 04 U19
34
35
36
37
38IVCarreraNico20USA/ITA03/2022eigene zweite Mannschaft
39
40
*Stichtag für Alter: 1.7.2022

Erklärungen zu den statistischen Begriffen

expected Goals (xG): Sie sind ein Wert, der das intuitive „Des hädd a zwaa ans firn glubb ausgeh kenna“ versucht zu quantifizieren. Zur Ermittlung wird jedem Schuss auf Grund von Ort und Art des Schusses sowie der Anzahl der Gegner, die zwischen dem Schützen und dem Tor stehen, ein Erfolgswert zwischen 0.001 und 1.00 zugewiesen. Je nach Modell werden auch noch andere Faktoren wie beispielsweise Schussgeschwindigkeit oder Schusshöhe einberechnet. Dabei entspricht 0.001 einer Chance von 0,1%, dass der Ball ins Tor geht, ein Wert von 1.00 ist ein Ball, der auf der Torlinie liegt, ohne dass der Spieler bedrängt wird. Ein Elfmeter wird dementsprechend mit 0.76 verbucht, da im Profibereich ziemlich genau 76% aller Elfmeter ins Tor gehen. Alle anderen xG-Werte unterscheiden sich je nach Anbieter, da manche Datenermittler die Werte von so genannten „Spottern“ einschätzen lassen, während andere eine Datenbank mit weltweit erfassten Schüssen bemühen. Um die xG für ein beliebiges Spiel zu erhalten, addiert man die Werte aller Schüsse beider Mannschaften. Ein Beispiel: Am ersten Spieltag der Saison 2019/20 hatte der FCN in Dresden einen xG-Wert von 0,46, Dynamo Dresden von 0,84. Das entspricht in etwa dem Eindruck, den man auch augenscheinlich hatte. In einem weitgehend ausgeglichenen, chancenarmen Spiel hatte Dresden die etwas besseren Gelegenheiten. Im Rückspiel vor der Winterpause kam der FCN auf 1,45 xG, Dresden auf 0,38xG. Auch hier wird der Eindruck bestätigt, der Club hatte bessere Chancen, Dresden kaum gute. Theoretisch lassen sich aus den xG-Werten auch Siegwahrscheinlichkeiten errechnen, z.B. 19% für den Club in Dresden, 67%% im Rückspiel.

Ballbesitz: Der Unterschied zwischen Ballbesitzteams und jenen, die dem Gegner den Ball überlassen, ist weitgehend intuitiv verständlich. Will man den Ball selbst haben? Oder soll der Gegner das Spiel machen. Zum Messen dieser an sich geradlinig wirkenden Statistik gibt es allerdings zwei Methoden. Die meisten Anbieter messen Ballbesitz über die Anzahl der Pässe. Die Anzahl der gespielten Pässe beider Teams im Spiel wird addiert und dann wird daraus der Anteil berechnet, den jedes Team hatte. Die andere Methode ist zeitbasiert. Hier wird die Zeit aufaddiert, die jede Mannschaft in Ballbesitz verbringt. Während die passbasierte Variante Teams, die viele kurze Pässe spielen, überbewertet, ist die zeitbasierte Variante bei Phasen, in denen kein Team den Ball am Fuß hat, ungenau. Der gewählte Datenanbieter Wyscout verwendet ein zeitbasiertes Modell. In den europäischen Top 5 Ligen (England, Spanien, Deutschland, Italien, Frankreich) schwankten 2021/22 die Werte zwischen 68,2 Prozent (Barcelona) und 39,3 Prozent (Burnley).

Pressingdruck: Was unter Pressing zu verstehen ist, das erscheint weitgehend klar. Es geht darum, auf den Ballführenden Druck auszuüben, so dass dieser im Aufbau nicht genug Zeit hat, einen Pass gezielt anzubringen. Es gibt Mannschaften, die den Gegner sofort unter Druck setzen – etwas für das beispielsweise von Marcelo Bielsa trainierte Teams bekannt sind – und solche, die dem Gegner in Ballbesitz freie Entfaltung lassen und erst spät ins Pressing gehen. Die statistische Zahl, die dafür entwickelt wurde, läuft unter dem Akronym PPDA. Dahinter versteckt sich die englische Bezeichnung Passes per Defensive Action. Relevant für diesen Wert sind nur Aktionen, die mindestens 40 Meter vom eigenen Tor entfernt stattfinden. Aktionen näher am eigenen Tor spielen keine Rolle. Nachvollziehbar, wenn man mit dem Wert messen will, wie stark der Spielaufbau des Gegners gestört wird. Für den PPDA-Wert werden dann in einem ersten Schritt die Defensivaktionen eines Teams – also Zweikämpfe, abgefangene Bälle, herausgeschlagene Bälle und Fouls – addiert. In einem zweiten Schritt wird diese Summe durch die Anzahl der Pässe des Gegners geteilt. Je niedriger der Wert ist, desto weniger Pässe ohne Abwehraktion wurden zugelassen und desto höher ist der Druck. Deshalb ist in der Visualisierung auch der niedrigste Wert, der höchste, also der “blauste”. In den europäischen Top 5 Ligen schwankten die Werte 2021/22 zwischen 7,26 PPDA (Barcelona) und 16,93 PPDA (Troyes).

Challenge Intensity: Die Challenge Intensity ist quasi das Pressinggegenstück zum zeitbasierten Ballbesitz. Sie geht den gleichen Wert wie PPDA und misst Defensivaktionen. Allerdings nicht auf Basis der gegnerischen Pässe, sondern auf Basis der Zeit, die der Gegner den Ball in seinen Reihen hält. Die “defensive Intensität” misst also die Anzahl der Defensivaktionen pro Minute gegnerischen Ballbesitz. Logischerweise ist die Korrelation mit PPDA sehr hoch, wie diese Grafik zeigt. Dennoch hat der damit ermittelte Wert seine Daseinsberechtigung, da er etwaige Unterschiede im Spieltempo (siehe unten) besser herausfiltern kann. 2021/22 lagen die Werte der Challenge Intensity in den Top5-Ligen zwischen 4,9 (Troyes) und 8,2 (Köln).

Fernschüsse: Oberflächlich betrachtet ist die Frage nach den Fernschüssen eine recht geradlinige. Schießt ein Team eher weiter vom Tor weg aufs Tor oder aber näher dran. Das ist sicherlich auch ein Teil dessen, was gemessen wird. Dahinter versteckt sich aber oft ein Maß dafür, wie lange ein Angriff ausgespielt wird. Je länger eine Angriffsphase dauert, desto wahrscheinlicher wird es, dass ein Spieler die Geduld verliert und statt eines weiteren Passes den Abschluss sucht. Das gilt selbstverständlich nicht für alle Fernschüsse. Eine hohe Anzahl an Abschlüssen außerhalb des Strafraums spricht dennoch dafür, dass Angriffe schnell abgeschlossen werden. Eine einfache Metrik dafür wäre die durchschnittliche Torentfernung beim Abschluss. Das Problem für diesen Wert ist, dass er, wie jeder Mittelwert, anfällig für Ausreißer ist. Stattdessen wird hier für die Visualisierung der Anteil der Fernschüsse an allen Schüssen gewählt, um zu messen, wie oft die Mannschaft einen Angriff durch einen Fernschuss beendet. In den europäischen Top 5 Ligen lagen die Werte zwischen 52,6 Prozent (Getafe) und 28,5 Prozent (Villarreal).

Flanken: Die Flanke an sich steht unter Freunden der Fußball-Analytics nicht unter dem besten Leumund. 92 Flanken brauche es im Schnitt, um ein Tor zu erzielen, gute Verteidigungen könnten sich schnell auf Flanken einstellen und diese aus der Gefahrenzone köpfen. Es scheint als würden die Trainer diesen Einwänden glauben: In den Top 5 Ligen ist der Schnitt der Flanken pro Spiel von 17 in der Saison 2010/11 über 15 in der Spielzeit 2016/17 auf nunmehr 13,5 gefallen. Dabei hat das Flanken durchaus seinen Platz im modernen Fußball, wenn man die richtigen Stürmer im Zentrum hat. Eindrucksvoll bewies das zum Beispiel der 1. FC Köln in der abgelaufenen Saison. Generell bedeutet eine hohe Flankenzahl also erst einmal zwei Dinge: Man sucht eine Kopfballspieler in der Mitte und man kommt oft in Tornähe. Die gewählte Metrik der Flanken pro 90 Minuten könnte als rein quantitative Angabe leicht verschoben in Richtung Teams mit viel Ballbesitz sein: Wer den Ball viel hat, kann auch viel flanken. So liegt Manchester City nicht nur beim Ballbesitz europaweit in der Spitzengruppe, sondern auch bei den Flanken, ähnliches gilt auch für Barcelona. Ein Blick auf die Statistik zeigt aber, dass hier insgesamt wenig Korrelation vorliegt. Ballbesitzteams wie Bayern München, Olympique Lyon, Paris St. Germain oder Dortmund flanken alle nicht überdurchschnittlich oft. Flanken sind also vor allem von der Spielanlage und nicht vom Ballbesitz abhängig. In den europäischen Top 5 Ligen schwankten die Werte zwischen 19,83 Flanken pro 90 Minuten (Manchester City, Köln folgte knapp dahinter auf Rang zwei) und 9,14 Flanken (Borussia Mönchengladbach).

Lange Bälle: Hier geht es auch um ein klar erkennbare Stilfrage. Spielt ein Team vor allem kurze Bälle oder greift es gern zum langen Schlag? Geschieht der Aufbau also vor allem durch kurze und mittellange Pässe oder überbrückt man den Raum gerne mit langen Bällen. Zuspitzen kann man diese Kategorie auf die Frage: Tiki Taka oder langer Hafer? In den Fußballdaten spricht man bei einem flachen Pass, der über mehr als 45 Meter geht oder einem hohen Pass, der länger als 25 Meter fliegt, von einem langen Ball. Die Anzahl dieser langen Pässe nimmt man dann und teilt sie durch die Anzahl der insgesamt gespielten Pässe. So kommt man auf den Anteil der langen Pässe am Passspiel der Mannschaft und kann so eine gewisse Charakteristik des Passspiels ablesen. In den europäischen Top 5 Ligen oszillierten die Werte zwischen 18,4 Prozent (Bochum) und 4,28 Prozent (Paris St. Germain).

Spieltempo: Um das Tempo der Spieler zu messen, gibt es inzwischen recht genaue Daten. Wir wissen, dass in den Top 5 Ligen Alphonso Davies vom FC Bayern München mit einer Geschwindigkeit von 36,5 km/h der schnellste Spieler ist. Doch wie berechnet man das Tempo des Spiels? Wahrscheinlich würden sich die meisten Zuschauer darauf einigen können, dass ein Spiel dann schnell ist, wenn sich der Ball schnell bewegt. Spielt also eine Mannschaft viele Pässe in kurzer Zeit, spielt sie schnell, spielt sie dagegen wenige Pässe in langer Zeit, spielt sie langsam. Je höher die Ballzirkulation, desto schneller das Spieltempo. Die statistische Maßzahl hierfür ist die so genannte “Passrate”, also die Anzahl der Pässe pro Minute Ballbesitz. Der Einwand, dass schnelle Dribblings in dieses Spieltempo nicht einfließen, da sie keinen Pass darstellen, erscheint im ersten Moment einleuchtend, betrachtet man aber die Daten stellt man fest, dass die Teams mit einer hohen Passrate auch eine höhere Anzahl an “progressiven Läufen”, also Läufen mit dem Ball am Fuß, die signifikant Raumgewinn erzielen – mindestens 30 Meter, wenn der Lauf in der eigenen Hälfte beginnt und endet, mindestens 15 Meter, wenn der Lauf in der eigenen Hälfte beginnt und in der gegnerischen endet und mindestens zehn Meter, wenn der Lauf in der gegnerischen Hälfte beginnt und endet. In den europäischen Top 5 Ligen lagen die Werte der Passrate 2021/22 zwischen 17,0 (Lazio Rom) und 11,5 Pässen pro Minute Ballbesitz (Valencia).

Konterangriffe: Grundsätzlich gibt es fürs Angreifen aus dem Spiel heraus zwei Art und Weisen. Zum einen den so genannten Positionsangriff. Der Ball wird planvoll nach vorne getragen und man versucht, gegen eine formierte Abwehr eine Lücke zu finden. Die andere Variante ist der Konterangriff. Also schnell von Abwehr auf Angriff umzuschalten und nach vorne zu spielen, noch ehe der Gegner sich formieren konnte. Dabei gilt: Selbst die Mannschaft mit der stärksten Konterausprägung spielt ihre meisten Angriffe als Positionsangriffe. Im Schnitt sind nur knapp 2,7 Angriffe pro Spiel Konterangriffe, 27,6 dagegen Positionsangriffe. Der durchschnittliche Anteil der Konter in den europäischen Topligen liegt also ungefähr bei 8,7 Prozent. Dennoch lässt sich aus den Unterschieden zwischen den Werten herauslesen, wie sehr eine Mannschaft auf Angreifen durch Umschalten setzt. Mitte der Saison 2021/22 schwankten in den europäischen Top 5 Ligen die Anteile der Konter an allen Angriffen aus dem Spiel heraus zwischen 16,2 Prozent (Leeds United) und 3,93 Prozent (Aston Villa).

6 Gedanken zu „Die 17 Anderen – Folge 10: Holstein Kiel

  • 04.07.2022 um 17:08 Uhr
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    Mit einer Mannschaft, die eingespielt ist, muss man immer rechnen…

    Schau mer mal!

    • 04.07.2022 um 17:38 Uhr
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      Eingespielt und Kader verstärkt, dazu ansehnlicher Fußball, Kiel spielt um Platz 3 mit.

  • 04.07.2022 um 19:13 Uhr
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    Kiel versteht es immer wieder eine schlagkräftige Mannschaft zusammenzubringen. Passt eigentlich alles. Für die 1. Liga ist das kleine Kiel dann doch nicht geeignet. Starke 2.-Ligamannschaft, wo es spaß macht hinzugehen als Fan der Kieler. Der Club darf da schon andere Ansprüche haben und es wird nach den vielen Jahren der 2. Liga endlich Zeit mal wieder in die Eliteklasse aufzusteigen, um nicht total den Anschluss zu verlieren.

  • 04.07.2022 um 20:06 Uhr
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    Dachte Gelios ist in die Türkei gewechselt!?

  • 05.07.2022 um 10:25 Uhr
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    Guter Vorbericht zu Kiel , denke die können auch oben um Aufstieg mitspielen wenn es gut läuft.
    Letzte Saison auch großes Verletzungspech gehabt und wichtige Stützen lange gefehlt.
    Kader gehalten sind eingespielt und gute Vorbereitung bislang absolviert. Kapitän Wahl dürfte wieder fit sein und nach langer Auszeit zurückkehren. Prunkstück ist weiter das erfahrene Mittelfeld mit Hotlby, Mühling, Bartels, Skrybski. Wriedt , Pichler und Arp auch interessante Offensive . Denke Arp könnte dieses Jahr endlich den langersehnten Durchbruch schaffen vom ewigen Supertalent zum treffsicheren Stürmer.
    Finde vor allem auch die Kaderbreite in Kiel ziemlich gut und viel Tiefe im Kader und konnten so auch letzte Saison die vielen Ausfälle halbwegs kompensieren. In der Vorbereitung nun teilweise ja wieder 15+ gefehlt durch Corona und Verletzungen, dafür erneut sehr starke Ergebnisse abgeliefert. Bordesholm (9:2 Kantersieg Oberliga 18.6), St. Pauli (2:0 trotz 15 Ausfällen !25.6), Qarabag (AZE 2-2 nach 0-2 29.6), Wolfsberger AC (1-0 AUT EL Team 2.7)

    Kiel muss man auf jeden Fall auf dem Zettel haben diese Saison und spielen erfrischenden Fußball

  • 05.07.2022 um 13:07 Uhr
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    Aha…Knothe geht also in die Regionalliga zum FSV Frankfurt. Ich hätte bei ihm gedacht es reicht auch für die 3.Liga, so sieht man wieder wie wenig Einblick man bei den Spielern wirklich hat.

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