Die 17 Anderen – Folge 12: 1. FC Heidenheim

Im Zuge der Saisonvorbereitung der Konkurrenz blicken wir in loser Folge darauf, wie der Kader bei den Gegnern strukturiert ist und was letzte Saison auffällig war. Im zwölften Teil geht es um den 1. FC Heidenheim.

  1. Steckbrief
  2. Spielstil 2021/22
  3. Kader 2021/22
  4. Trainer 2022/23
  5. Kader 2022/23

1. Steckbrief

TrainerFrank Schmidt (seit 17.9.2007)
AbgängeTobias Mohr (FC Schalke 04), Oliver Hüsing (Arminia Bielefeld), Robert Leipertz (SC Paderborn), Konstantin Kerschbaumer (Wolfsberger AC), Julian Stark (SC Freiburg II), Gianni Mollo (unbekannt), Tim Seifert (Berliner AK), Maurice Malone (FC Augsburg, Leihende)
ZugängeThomas Keller (FC Ingolstadt 04), Lennard Maloney (Borussia Dortmund II), Tim Köther (Fortuna Düsseldorf II), Adrian Beck (SSV Ulm), Jan-Niklas Beste (SV Werder Bremen), Elidon Qenaj, Mert Arslan (eigene U19), Florian Pick (FC Ingolstadt 04, Leihende), Merveille Biankadi (TSV 1860 München, Leihende)
Platzierung 2021/226. Platz, Zweite Liga (52 Punkte, 43:45 Tore)
Bilanz gegen FCN seit 19635 Siege – 3 Remis – 6 Niederlagen (22:25 Tore)
Ex-Cluberer?Frank Schmidt war 1991 bis 1994 beim Club unter Vertrag, spielte vor allem in der zweiten Mannschaft, aber auch einmal für die Profis im DFB-Pokal (7:1 beim TSV Osterholz-Tenever in Bremen im August 1992)
Ex-Heidenheimer?—-

2. Spielstil 2021/22

Zwei Dinge stechen sofort heraus, wenn man sich die Daten zum 1. FC Heidenheim in der Saison 2021/22 zu Gemüte führt: Ballgewinne und Ballverluste. Nur Dresden verlor häufiger den Ball als der FCH. Aber auch bei den Balleroberungen sind die Brenzstädter in der Spitzengruppe. Im eigenen Verteidigungsdrittel eroberte sogar niemand häufiger den Ball als Heidenheim. Dabei fällt auf: das Ballerobern passiert nicht über intensives Pressing. Der PPDA-Wert ist sogar der zweitgeringste der Liga. Oder wie es Tim vom Millernton schrieb: „Das Team definiert sich über die Defensivarbeit und spielt ein sehr konzentriertes und abwartendes, gerne tiefes Pressing. Wenn es aber mal vorne drauf geht, dann knallt es meist gewaltig. Wenn der Ball gewonnen wird, dann gibt es nur eine Richtung: Anstatt abwartend zu spielen und Situationen zu entwickeln, wird der Ball meist strikt nach vorne gespielt.“

Deshalb steht in Heidenheim seit jeher die Laufarbeit im Vordergrund. Dabei geht es weniger um die knapp 2,7 Kilometer pro Spiel, die Heidenheim im Schnitt mehr läuft als alle anderen, weil das vor allem über Positionswechsel und Nettospielzeit erklärt werden könnte. Es geht vielmehr um die Intensität der Läufe. Wie jedes Jahr führte Heidenheim auch 2021/22 die Statistik bei den Sprints, also Läufen mit mehr als 24 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit, an. In der Addition aller Sprints über die Saison waren es fast 1.000 – ja eintausend – Sprints mehr als beim zweitplatzierten HSV. Das bedeutet, dass Heidenheim pro Spiel im Schnitt mindestens 28 Sprints mehr als alle anderen anzog. Bei den so genannten intensiven Läufen (17-24 km/h) lagen die Brenzstädter sogar knapp 1.500 intensive Läufe vor dem nächsten in der Tabelle, dem FC Ingolstadt. Also waren es hier mindestens 44 mehr intensive Läufe pro Spiel als bei allen anderen. Hintergrund der vielen intensiven und schnellen Läufe ist aber nicht allein die Vorwärtsbewegung, sondern vielmehr und noch viel deutlicher das geordnete und intensive Verschieben gegen den Ball.

Tempo in beide Richtungen ist also eines der Schlüsselelemente des Spiels von Frank Schmidt. Dazu kommt ein hohes Matchtempo: Knapp 17 Pässe pro Minute Ballbesitz trotz unterdurchschnittlichem Ballbesitz bedeuten, dass der Ball in den Ballbesitzphasen schnell läuft. Eine deutlich unterdurchschnittliche Ballbesitzphasendauer von 12,3 Sekunden, dass der Ball nicht lang gehalten wird. Man spielt in kurzer Zeit viele Pässe, baut dabei oft über die Außenverteidiger auf, geht dann aber gern ins Risiko und spielt auch einmal einen schnellen und/oder langen Ball in Richtung Wandspieler. Dass diese Intensität möglicherweise zu Problemen in der Konzentration führt, darauf deuten die 34 Gegentreffer nach der Pause hin. Nur Sandhausen (35), Ingolstadt (39) und Aue (38) finden sich noch mehr Tore nach dem Seitenwechsel, alle drei kassierten aber auch insgesamt deutlich mehr Gegentreffer. Dabei schaffte der FCH es insgesamt sehr gut, den Gegner zu schlechten Abschlüssen zu zwingen. Bei keinem Zweitligisten schlossen die Gegner aus schlechteren Positionen ab. Der xG pro Schuss Wert lag gerade einmal bei 0,1, der gegnerische Abschluss war im Durchschnitt mit 0,12 xG/Schuss um 20 Prozent gefährlicher.

 Heidenheim 2021/22
Tore/expected Goals43/48,9
Gegentore/expected Goals against45/42,7
Schüsse pro 90/xG pro Schuss12,20/0,111(⌀: 12,05/0,120)
geg. Schüsse pro 90/xG pro geg. Schuss11,87/0,100 (⌀: 12,05/0,120)
Ballbesitz/Dauer durchschn. Ballbesitzphase46,7%/12,3s (⌀: 50%/13,3s)
PPDA/Chal. Intensity11,96/5,9 (⌀: 9,71/6,4)
Zweikampfquoten Off./Def./Luft/fr. Ball35%/62%/49%/39% (⌀: 39%/61%/47%/41%)
Für Erklärungen der Begriffe hier klicken.
Spielstil im Vergleich zu anderen Zweitligisten anhand ausgesuchter Parameter. Für Erklärungen der Begriffe hier klicken. Unterschiede zwischen Tabelle und Grafik ergeben sich aus unterschiedlichen Rundungen und Durchschnittsbildungen.

3. Kader 2021/22

Kein Team stand mehr für den Grundsatz einer Kerngruppe wie die Heidenheimer. Gleich acht Spieler kamen auf mehr als 75 Prozent Einsatzzeit: Torwart Müller, der keine Sekunde verpasste, die Innenverteidiger Mainka und Hüsing, Linksverteidiger und Sechser Theuerkauf, Rechtsverteidiger Busch, Sechser Schöppner, Linksaußen Mohr und Stürmer Kleindienst. Legt man das 4-1-4-1 und das 4-2-3-1, welches die beiden Stammformationen von Frank Schmidt waren, zugrunde, dann waren eigentlich nur da, wo Theuerkauf gerade nicht spielte, sowie auf Rechtsaußen und im offensiven Mittelfeld Positionen zu vergeben. Spielte Theuerkauf auf der Sechs, spielte Föhrenbach Rechtsverteidiger, spielte Theuerkauf Rechtsverteidiger, spielte Burnic auf der Sechs. Auf der rechten Außenbahn wechselten sich Leipertz, Malone und Kühlwetter ab. Letzterer spielte, ebenso wie Sessa und Schimmer – der eher als zweite Spitze – im Zentrum.

Erwähnt man jetzt noch Innenverteidiger Siersleben, Sechser Geipl, Rechtsverteidiger Rittmüller und Zentrumsspieler Thomalla, so hat man tatsächlich alle 19 Spieler genannt, die in der vergangenen Saison mehr als nur ein paar Minuten gesehen haben. Hinzu kommt, dass außer Malone, der vom FC Augsburg ausgeliehen war, tatsächlich alle Spieler auch 2020/21 schon in Heidenheim unter Vertrag gestanden hatten. Das heißt mit einer Ausnahme kannten alle Spieler im Kader Frank Schmidts Vorstellungen schon seit mindestens einem Jahr. Dementsprechend war die Quote von gerade einmal vier Prozent aller Minuten für Neuzugänge auch die geringste in der ganzen Liga.

Bei acht so klaren Stammspielern ist auch klar, dass die wichtigsten Spieler aus ihren Reihen kommen. In der vergangenen Saison ragten vor allem Kleindienst und Mohr aus der Reihe der Stammkräfte heraus. Gemeinsam hatten die beiden 27 Torbeteiligungen, Kleindienst mit zehn Treffern, Mohr mit deren acht. Mohr war in vielen offensiven Kategorien gut bis herausragend, sein Passspiel tat sich besonders hervor, nicht nur per Flanke – Mohr zählte zu den fleißigsten Flankengebern der Liga – und Standard sondern auch per flachem Zuspiel, setzte er die Mitspieler gekonnt ein. Drei der Vorlagen gingen auf Tim Kleindienst, darunter eine beim 3:1-Sieg des FCH gegen Nürnberg. Kleindienst bestach durch starkes Kopfballspiel, fleißiges Zweikämpfen und für einen Stoßstürmer auch überzeugendes Verbindungsspiel.

4. Trainer 2022/23

Der ewige Frank Schmidt. 550 Pflichtspiele an der Seitenlinie des 1. FC Heidenheim stehen für den 48-Jährigen inzwischen zu Buche. Seit 2007 betreut er den FCH, erst im Laufe der letzten Saison hat er die Laufzeit seines Kontrakts bis 2027 verlängert. Bereits im September 2023 würde Schmidt, der als Spieler einen Einsatz für den FCN im DFB-Pokal hatte, Volker Finkes Rekord für die längste Amtszeit als Trainer im deutschen Profifußball brechen. Dabei war Schmidt im September 2007 gar nicht als langfristige Lösung geplant, sollte beim damaligen Oberligisten nur interimistisch als Spielertrainer agieren, bis ein Nachfolger für Dieter Märkle gefunden würde. Der Verein hatte sich frisch aus der Fußballabteilung des Heidenheimer Sportbunds gelöst, um die Lizensierungsauflagen für die neue Regionalliga erfüllen zu können und sah unter Märkle die Chancen auf eine sportliche Qualifikation am Ende der Saison gefährdet.

Schmidt übernahm, schaffte Rang vier und damit den Aufstieg in die Viertklassigkeit. Immer wieder hebt Schmidt in Interviews hervor, dass das Fachliche (Taktik, Trainingslehre, Sportwissenschaft) für ihn zwar wichtig sei, das Menschliche und die Kommunikation aber an erster Stelle stehe. Wer Schmidt als Protagonisten des Films „Trainer!“ von Aljoscha Pause erlebt hat, der weiß, dass dies keine Worthülsen sind. Schmidt sucht das Gespräch mit seinen Spielern und Mitarbeitern, versucht die Idee des „familiären Clubs mit professionellen Strukturen“ zu leben. Diese Einstufung bedeutet nicht, dass Schmidt nicht auch Vorstellungen davon hat, wie der Fußball auszusehen hat, den seine Mannschaft spielt. Er versucht nur, wie eigentlich alle lange Zeit erfolgreichen Trainer, die Balance zwischen Taktik und Motivation, zwischen Herz und Verstand zu finden.

15 Jahre nach seiner Beförderung zum Trainer ist Schmidt immer noch da und der 1. FC Heidenheim ist ein etablierter Zweitligist. Er hatte 2020 in der Relegation sogar am Tor zur Bundesliga geklopft, war dann aber an Werder Bremen gescheitert. Selbst der Post-Relegationsblues konnte den Brenzstädtern in der Saison 2020/21 nichts anhaben, da wurde man souverän Achter. 2021/22 folgte Platz sechs. Seit dem Aufstieg schnitt der FCH nie schlechter als Rang 13 ab, dennoch geht man vor der Saison, das betont Schmidt, immer mit dem Grundsatz in die Spielzeit zunächst einmal nicht absteigen zu wollen.

5. Kader 2022/23

Der Anteil der Minuten für die Neuzugänge dürfte 2022/23 auf jeden Fall höher sein als 2021/22. Mit Mohr (Schalke 04) und Hüsing (Arminia Bielefeld) verliert Heidenheim gleich zwei Stützen. Dazu verlässt mit Leipertz (Paderborn) noch ein Rotationsspieler den Verein. Immerhin knapp 7500 Minuten standen diese drei Spieler für Heidenheim in der vergangenen Saison auf dem Feld. Die restlichen Abgänge – neben der ausgelaufenen Leihe von Malone – betreffen Spieler, die kaum zum Einsatz kamen. Konstantin Kerschbaumer, vor einigen Spielzeiten noch heiß begehrter zentraler Mittelfeldspieler, kam kaum mehr zum Einsatz, wechselt zum Wolfsberger AC in der österreichischen Heimat. Dazu kommen mit Innenverteidiger Tim Seifert (Berliner AK), Mittelfeldspieler Julian Stark (SC Freiburg II) und Stürmer Gianni Mollo (unbekannt), gleich drei Spieler aus der eigenen Jugend, die den Sprung zu den Profis nicht geschafft haben.

Die nächsten Jugendspieler, die es versuchen dürfen, sind mit Stürmer Eidon Qenaj und Rechtsaußen Mert Arslan schon gefunden. Beide machten in der vergangenen Saison in der U19 Bundesliga auf sich aufmerksam. Arslan traf 13-mal in 19 Spielen, Qenaj fünfmal bei acht Vorlagen. Das mutet im ersten Moment seltsam an, da Qenaj vom Profil her eher wie der Torjäger wirkt. Der 19-jährige gebürtige Böblinger ist 1,95m groß und wirkt von den Daten her wie eine jüngere Version von Tim Kleindienst, die im Zuspiel noch etwas zulegen muss. Doch auch Arslan besticht durch eine hervorragend Schusswahl und seine Abschlussstärke – zumindest im Jugendfußball. Wie viel Zeit die beiden Youngster auf dem Platz bekommen, bleibt abzuwarten.

Bessere Chancen auf Einsätze dürften allerdings andere Neuzugänge haben. Für die Innenverteidigung kommen mit Thomas Keller (FC Ingolstadt) und Lennard Maloney (Borussia Dortmund II) zwei 22-Jährige ablösefrei an die Brenz. Maloney ist der etwas spielgestalterisch sicherere der beiden Neuzugänge, der auch besser im Kopfballspiel ist. Keller bringt dagegen etwas bessere Zweikampfwerte mit. Allerdings spielte Maloney auch in der Dritten Liga und Keller in der Zweiten, so dass möglicherweise die Spieler sogar noch ähnlicher sind, als es die Daten vermuten lassen. Wer von beiden den Platz neben Patrick Mainka einnehmen wird, oder ob es Tim Siersleben ist, scheint völlig offen.

Ersatz für Robert Leipertz scheint in Form von Jan-Niklas Beste gefunden. Der kommt – nachdem er nach Regensburg ausgeliehen war – von Werder Bremen. Und konnte vor allem durch seine Arbeit gegen den Ball in offensiven Positionen bestechen, war aber auch in Tornähe sowohl im Abschluss als auch im Zuspiel nicht ungefährlich. Auf links hat sich der FCH mit Tim Köther verstärkt. Der spielte in der vergangenen Saison für Fortuna Düsseldorf II in der Regionalliga West, aber auch 74 Minuten in der Zweiten Liga, als ein Großteil des Profikaders mit CoViD-19 außer Gefecht gesetzt war. Köther war in der Regionalliga ein guter Dribblingspieler, der auch immer wieder das Auge für den Mitspieler hatte. Duellieren dürfte sich Köther mit Florian Pick, der nach einem halben Jahr Leihe vom FC Ingolstadt zurückgekehrt ist.

Wie Köther kommt auch Adrian Beck aus der Regionalliga nach Heidenheim. Der offensive Mittelfeldspieler kommt mit der Empfehlung von elf Toren und vier Vorlagen nach Heidenheim. Der gebürtige Crailsheimer war einer der einflussreichsten Spieler beim Vizemeister der Regionalliga Südwest. Er konnte sowohl mit Ball als auch gegen den Ball überzeugen und könnte schnell ein weiterer Kandidat für die Position hinter den Spitzen im 4-2-3-1, aber auch auf der rechten Acht im 4-1-4-1 sein.

#Pos.NameVornameAlter*Nationseitletzter Verein
1TWMüllerKevin31D07/2015VfB Stuttgart
2RVBuschMarnon27D07/2017Werder Bremen
3ZMSchöppnerJan23D08/2020SC Verl
4IVSierslebenTim22D07/2021VfL Wolfsburg
5
6IVMainkaPatrick27D07/2018Borussia Dortmund II
7
8ZMGeiplAndreas30D07/2020SSV Jahn Regensburg
9STSchimmerStefan28D08/2019SpVgg Unterhaching
10STKleindienstTim26D01/2021KAA Gent
11STThomallaDenis29D07/2016Lech Poznan
12
13
14
15
16ZMSessaKevin21D/ARG07/2018eigene U19
17LAPickFlorian26D09/20201. FC Kaiserslautern
18RVRittmüllerMarvin23D07/20201. FC Köln II
19LVFöhrenbachJonas26D07/2019SC Freiburg
20ZMBurnićDženis 24D/BIH08/2020Borussia Dortmund
21ZMBeckAdrian25D07/2022SSV Ulm 1846
22TWEicherVitus31D01/2017TSV 1860 München
23
24STKühlwetterChristian26D09/20201. FC Kaiserslautern
25LANegeleChristopher17D07/2022eigene U17
26RAKötherTim21D07/2022Fortuna Düsseldorf II
27IVKellerThomas22D07/2022FC Ingolstadt 04
28ZMRamusovicMelvin20D07/2020eigene U19
29
30LVTheuerkaufNorman35D07/2015Eintracht Braunschweig
31RAArslanMert18D/TUR07/2022eigene U19
32
33IVMaloneyLennard22D/USA07/2022Borussia Dortmund II
34TWTschernuthPaul20AUT07/2021eigene U19
35
36
37RABesteJan-Niklas23D07/2022Werder Bremen/Jahn Regensburg
38
39
40
41
42
43
44STQenajElidon19D/KSX07/2022eigene U19
*Stichtag für Alter: 1.7.2022

Erklärungen zu den statistischen Begriffen

expected Goals (xG): Sie sind ein Wert, der das intuitive „Des hädd a zwaa ans firn glubb ausgeh kenna“ versucht zu quantifizieren. Zur Ermittlung wird jedem Schuss auf Grund von Ort und Art des Schusses sowie der Anzahl der Gegner, die zwischen dem Schützen und dem Tor stehen, ein Erfolgswert zwischen 0.001 und 1.00 zugewiesen. Je nach Modell werden auch noch andere Faktoren wie beispielsweise Schussgeschwindigkeit oder Schusshöhe einberechnet. Dabei entspricht 0.001 einer Chance von 0,1%, dass der Ball ins Tor geht, ein Wert von 1.00 ist ein Ball, der auf der Torlinie liegt, ohne dass der Spieler bedrängt wird. Ein Elfmeter wird dementsprechend mit 0.76 verbucht, da im Profibereich ziemlich genau 76% aller Elfmeter ins Tor gehen. Alle anderen xG-Werte unterscheiden sich je nach Anbieter, da manche Datenermittler die Werte von so genannten „Spottern“ einschätzen lassen, während andere eine Datenbank mit weltweit erfassten Schüssen bemühen. Um die xG für ein beliebiges Spiel zu erhalten, addiert man die Werte aller Schüsse beider Mannschaften. Ein Beispiel: Am ersten Spieltag der Saison 2019/20 hatte der FCN in Dresden einen xG-Wert von 0,46, Dynamo Dresden von 0,84. Das entspricht in etwa dem Eindruck, den man auch augenscheinlich hatte. In einem weitgehend ausgeglichenen, chancenarmen Spiel hatte Dresden die etwas besseren Gelegenheiten. Im Rückspiel vor der Winterpause kam der FCN auf 1,45 xG, Dresden auf 0,38xG. Auch hier wird der Eindruck bestätigt, der Club hatte bessere Chancen, Dresden kaum gute. Theoretisch lassen sich aus den xG-Werten auch Siegwahrscheinlichkeiten errechnen, z.B. 19% für den Club in Dresden, 67%% im Rückspiel.

Ballbesitz: Der Unterschied zwischen Ballbesitzteams und jenen, die dem Gegner den Ball überlassen, ist weitgehend intuitiv verständlich. Will man den Ball selbst haben? Oder soll der Gegner das Spiel machen. Zum Messen dieser an sich geradlinig wirkenden Statistik gibt es allerdings zwei Methoden. Die meisten Anbieter messen Ballbesitz über die Anzahl der Pässe. Die Anzahl der gespielten Pässe beider Teams im Spiel wird addiert und dann wird daraus der Anteil berechnet, den jedes Team hatte. Die andere Methode ist zeitbasiert. Hier wird die Zeit aufaddiert, die jede Mannschaft in Ballbesitz verbringt. Während die passbasierte Variante Teams, die viele kurze Pässe spielen, überbewertet, ist die zeitbasierte Variante bei Phasen, in denen kein Team den Ball am Fuß hat, ungenau. Der gewählte Datenanbieter Wyscout verwendet ein zeitbasiertes Modell. In den europäischen Top 5 Ligen (England, Spanien, Deutschland, Italien, Frankreich) schwankten 2021/22 die Werte zwischen 68,2 Prozent (Barcelona) und 39,3 Prozent (Burnley).

Pressingdruck: Was unter Pressing zu verstehen ist, das erscheint weitgehend klar. Es geht darum, auf den Ballführenden Druck auszuüben, so dass dieser im Aufbau nicht genug Zeit hat, einen Pass gezielt anzubringen. Es gibt Mannschaften, die den Gegner sofort unter Druck setzen – etwas für das beispielsweise von Marcelo Bielsa trainierte Teams bekannt sind – und solche, die dem Gegner in Ballbesitz freie Entfaltung lassen und erst spät ins Pressing gehen. Die statistische Zahl, die dafür entwickelt wurde, läuft unter dem Akronym PPDA. Dahinter versteckt sich die englische Bezeichnung Passes per Defensive Action. Relevant für diesen Wert sind nur Aktionen, die mindestens 40 Meter vom eigenen Tor entfernt stattfinden. Aktionen näher am eigenen Tor spielen keine Rolle. Nachvollziehbar, wenn man mit dem Wert messen will, wie stark der Spielaufbau des Gegners gestört wird. Für den PPDA-Wert werden dann in einem ersten Schritt die Defensivaktionen eines Teams – also Zweikämpfe, abgefangene Bälle, herausgeschlagene Bälle und Fouls – addiert. In einem zweiten Schritt wird diese Summe durch die Anzahl der Pässe des Gegners geteilt. Je niedriger der Wert ist, desto weniger Pässe ohne Abwehraktion wurden zugelassen und desto höher ist der Druck. Deshalb ist in der Visualisierung auch der niedrigste Wert, der höchste, also der “blauste”. In den europäischen Top 5 Ligen schwankten die Werte 2021/22 zwischen 7,26 PPDA (Barcelona) und 16,93 PPDA (Troyes).

Challenge Intensity: Die Challenge Intensity ist quasi das Pressinggegenstück zum zeitbasierten Ballbesitz. Sie geht den gleichen Wert wie PPDA und misst Defensivaktionen. Allerdings nicht auf Basis der gegnerischen Pässe, sondern auf Basis der Zeit, die der Gegner den Ball in seinen Reihen hält. Die “defensive Intensität” misst also die Anzahl der Defensivaktionen pro Minute gegnerischen Ballbesitz. Logischerweise ist die Korrelation mit PPDA sehr hoch, wie diese Grafik zeigt. Dennoch hat der damit ermittelte Wert seine Daseinsberechtigung, da er etwaige Unterschiede im Spieltempo (siehe unten) besser herausfiltern kann. 2021/22 lagen die Werte der Challenge Intensity in den Top5-Ligen zwischen 4,9 (Troyes) und 8,2 (Köln).

Fernschüsse: Oberflächlich betrachtet ist die Frage nach den Fernschüssen eine recht geradlinige. Schießt ein Team eher weiter vom Tor weg aufs Tor oder aber näher dran. Das ist sicherlich auch ein Teil dessen, was gemessen wird. Dahinter versteckt sich aber oft ein Maß dafür, wie lange ein Angriff ausgespielt wird. Je länger eine Angriffsphase dauert, desto wahrscheinlicher wird es, dass ein Spieler die Geduld verliert und statt eines weiteren Passes den Abschluss sucht. Das gilt selbstverständlich nicht für alle Fernschüsse. Eine hohe Anzahl an Abschlüssen außerhalb des Strafraums spricht dennoch dafür, dass Angriffe schnell abgeschlossen werden. Eine einfache Metrik dafür wäre die durchschnittliche Torentfernung beim Abschluss. Das Problem für diesen Wert ist, dass er, wie jeder Mittelwert, anfällig für Ausreißer ist. Stattdessen wird hier für die Visualisierung der Anteil der Fernschüsse an allen Schüssen gewählt, um zu messen, wie oft die Mannschaft einen Angriff durch einen Fernschuss beendet. In den europäischen Top 5 Ligen lagen die Werte zwischen 52,6 Prozent (Getafe) und 28,5 Prozent (Villarreal).

Flanken: Die Flanke an sich steht unter Freunden der Fußball-Analytics nicht unter dem besten Leumund. 92 Flanken brauche es im Schnitt, um ein Tor zu erzielen, gute Verteidigungen könnten sich schnell auf Flanken einstellen und diese aus der Gefahrenzone köpfen. Es scheint als würden die Trainer diesen Einwänden glauben: In den Top 5 Ligen ist der Schnitt der Flanken pro Spiel von 17 in der Saison 2010/11 über 15 in der Spielzeit 2016/17 auf nunmehr 13,5 gefallen. Dabei hat das Flanken durchaus seinen Platz im modernen Fußball, wenn man die richtigen Stürmer im Zentrum hat. Eindrucksvoll bewies das zum Beispiel der 1. FC Köln in der abgelaufenen Saison. Generell bedeutet eine hohe Flankenzahl also erst einmal zwei Dinge: Man sucht eine Kopfballspieler in der Mitte und man kommt oft in Tornähe. Die gewählte Metrik der Flanken pro 90 Minuten könnte als rein quantitative Angabe leicht verschoben in Richtung Teams mit viel Ballbesitz sein: Wer den Ball viel hat, kann auch viel flanken. So liegt Manchester City nicht nur beim Ballbesitz europaweit in der Spitzengruppe, sondern auch bei den Flanken, ähnliches gilt auch für Barcelona. Ein Blick auf die Statistik zeigt aber, dass hier insgesamt wenig Korrelation vorliegt. Ballbesitzteams wie Bayern München, Olympique Lyon, Paris St. Germain oder Dortmund flanken alle nicht überdurchschnittlich oft. Flanken sind also vor allem von der Spielanlage und nicht vom Ballbesitz abhängig. In den europäischen Top 5 Ligen schwankten die Werte zwischen 19,83 Flanken pro 90 Minuten (Manchester City, Köln folgte knapp dahinter auf Rang zwei) und 9,14 Flanken (Borussia Mönchengladbach).

Lange Bälle: Hier geht es auch um ein klar erkennbare Stilfrage. Spielt ein Team vor allem kurze Bälle oder greift es gern zum langen Schlag? Geschieht der Aufbau also vor allem durch kurze und mittellange Pässe oder überbrückt man den Raum gerne mit langen Bällen. Zuspitzen kann man diese Kategorie auf die Frage: Tiki Taka oder langer Hafer? In den Fußballdaten spricht man bei einem flachen Pass, der über mehr als 45 Meter geht oder einem hohen Pass, der länger als 25 Meter fliegt, von einem langen Ball. Die Anzahl dieser langen Pässe nimmt man dann und teilt sie durch die Anzahl der insgesamt gespielten Pässe. So kommt man auf den Anteil der langen Pässe am Passspiel der Mannschaft und kann so eine gewisse Charakteristik des Passspiels ablesen. In den europäischen Top 5 Ligen oszillierten die Werte zwischen 18,4 Prozent (Bochum) und 4,28 Prozent (Paris St. Germain).

Spieltempo: Um das Tempo der Spieler zu messen, gibt es inzwischen recht genaue Daten. Wir wissen, dass in den Top 5 Ligen Alphonso Davies vom FC Bayern München mit einer Geschwindigkeit von 36,5 km/h der schnellste Spieler ist. Doch wie berechnet man das Tempo des Spiels? Wahrscheinlich würden sich die meisten Zuschauer darauf einigen können, dass ein Spiel dann schnell ist, wenn sich der Ball schnell bewegt. Spielt also eine Mannschaft viele Pässe in kurzer Zeit, spielt sie schnell, spielt sie dagegen wenige Pässe in langer Zeit, spielt sie langsam. Je höher die Ballzirkulation, desto schneller das Spieltempo. Die statistische Maßzahl hierfür ist die so genannte “Passrate”, also die Anzahl der Pässe pro Minute Ballbesitz. Der Einwand, dass schnelle Dribblings in dieses Spieltempo nicht einfließen, da sie keinen Pass darstellen, erscheint im ersten Moment einleuchtend, betrachtet man aber die Daten stellt man fest, dass die Teams mit einer hohen Passrate auch eine höhere Anzahl an “progressiven Läufen”, also Läufen mit dem Ball am Fuß, die signifikant Raumgewinn erzielen – mindestens 30 Meter, wenn der Lauf in der eigenen Hälfte beginnt und endet, mindestens 15 Meter, wenn der Lauf in der eigenen Hälfte beginnt und in der gegnerischen endet und mindestens zehn Meter, wenn der Lauf in der gegnerischen Hälfte beginnt und endet. In den europäischen Top 5 Ligen lagen die Werte der Passrate 2021/22 zwischen 17,0 (Lazio Rom) und 11,5 Pässen pro Minute Ballbesitz (Valencia).

Konterangriffe: Grundsätzlich gibt es fürs Angreifen aus dem Spiel heraus zwei Art und Weisen. Zum einen den so genannten Positionsangriff. Der Ball wird planvoll nach vorne getragen und man versucht, gegen eine formierte Abwehr eine Lücke zu finden. Die andere Variante ist der Konterangriff. Also schnell von Abwehr auf Angriff umzuschalten und nach vorne zu spielen, noch ehe der Gegner sich formieren konnte. Dabei gilt: Selbst die Mannschaft mit der stärksten Konterausprägung spielt ihre meisten Angriffe als Positionsangriffe. Im Schnitt sind nur knapp 2,7 Angriffe pro Spiel Konterangriffe, 27,6 dagegen Positionsangriffe. Der durchschnittliche Anteil der Konter in den europäischen Topligen liegt also ungefähr bei 8,7 Prozent. Dennoch lässt sich aus den Unterschieden zwischen den Werten herauslesen, wie sehr eine Mannschaft auf Angreifen durch Umschalten setzt. Mitte der Saison 2021/22 schwankten in den europäischen Top 5 Ligen die Anteile der Konter an allen Angriffen aus dem Spiel heraus zwischen 16,2 Prozent (Leeds United) und 3,93 Prozent (Aston Villa).

4 Gedanken zu „Die 17 Anderen – Folge 12: 1. FC Heidenheim

  • 07.07.2022 um 11:31 Uhr
    Permalink

    Das wirkt auf den ersten Blick wie ein leichter Substanzverlust, aber ich vermute, dass hier die Kaderplanung noch nicht abgeschlossen ist…

  • 09.07.2022 um 10:23 Uhr
    Permalink

    Tolle Analysen… sehr interessant…

  • 09.07.2022 um 11:44 Uhr
    Permalink

    Robert Klaus hat nach dem Spiel gesagt Schleimers Verletzung ist nicht schlimm. Das macht mich stuzig. Denn immer wenn das nach der Verletzung eines Spieler’s sagt fällt der Spieler mindestens ein halbes Jahr aus.

    • 09.07.2022 um 11:53 Uhr
      Permalink

      Das korrekte Zitat ist: „Wir machen jetzt noch weitere Untersuchungen. Es ist was am Sprunggelenk. Die Ärzte haben gesagt, es sieht nicht allzu schlimm aus.“ Klauß hat also selbst keine Einschätzung vorgenommen.

Kommentare sind geschlossen.